Das Schmetterlingsmädchen - Roman
eindringlich an. Sie fragte sich, ob sie vielleicht Schmutz im Gesicht hatte, und fuhr mit der Hand darüber. Nichts. Und eigentlich war es auch nicht diese Art Blick. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte.
»Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie mir helfen«, sagte sie. »Ich wünschte, ich könnte Sie bezahlen. Tut mir leid, dass ich das nicht gleich gesagt habe. Ich bin im Moment nicht ganz ich selbst.«
»Natürlich nicht.« Endlich wandte er den Blick wieder ab. »Und es ist mir eine Ehre, Sie zu vertreten. Mir scheint, dass Sie eine sehr anständige junge Frau sind, die schwere Zeiten erlebt hat. Und zwar mit sehr viel Haltung, sollte ich vielleicht hinzufügen. Sie kommen mir in keiner Weise verbittert vor.«
Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Trotz Mrs. Lindquists Schnarchen konnte sie das Ticken seiner Armbanduhr hören. Hatte er nicht gesagt, dass er nur eine Stunde bleiben würde? Sie wusste nicht, wie spät es war, aber bestimmt hatten sie länger gesprochen.
»Möchten Sie noch etwas Tee?«
Er schüttelte den Kopf, machte aber trotzdem keine Anstalten zu gehen. Sie wusste nicht, was ihn noch hielt, was jetzt noch passieren könnte. Sie hatte ihm bereits gesagt, dass sie ihm kein Honorar zahlen konnte.
»Es muss sehr aufregend sein, in einer großen Stadt zu leben.« Etwas anderes fiel ihr nicht ein.
»Stimmt.« Er lächelte warm. »Viel Betrieb. Wir haben jetzt einen Soda Shop mit verspiegelten Wänden und elektrischen Ventilatoren an der Decke.« Er zeigte auf die nackte Decke der Lindquists und wirbelte seine Hand herum. »Man bekommt alle möglichen Süßigkeiten für einen Penny, und Milchshakes.«
Cora konnte nicht verstehen, warum er sie so eindringlich ansah oder warum er noch blieb. Mutter Kaufmann hatte zu ihr gesagt, dass sie ein gutes Gesicht hatte, ein interessantes Gesicht, und auf eine einzigartige Weise schön war. Als Cora klein war, glaubte sie ihr, aber als sie älter wurde, stieg in ihr der Verdacht auf, dass Mutter Kaufmann ihr nur geschmeichelt hatte. Sie hatte beobachtet, wie sich die Jungs in der Schule in Gegenwart bestimmter Mädchen benahmen, und sie wusste, dass wahre Schönheit alles überstrahlt hätte, selbst ihre fragwürdige Herkunft. Aber auch als sie Meisterin im Spiel Anmut war, waren die Jungen ihr gegenüber bestenfalls höflich. Und doch – ja, so war es! – hatte dieser ausgesprochen gut aussehende Anwalt länger als geplant im Wohnzimmer der Lindquists gesessen und starrte sie an, als wäre sie ein mehr als lohnender Anblick.
»Klingt wundervoll«, sagte sie. Vielleicht war ihre Stimme zu atemlos, zu laut, denn Mrs. Lindquist wachte mit einem Hüsteln auf. Cora und der Anwalt verstummten und schauten dezent weg, um ihr Zeit zu lassen, sich zu besinnen. Als sie wieder hinsahen, saß Mrs. Lindquist aufrecht auf dem Sofa. Sie lächelte Cora an und nippte an ihrem Tee, als wäre er immer noch zu heiß und die Zeit einfach stehen geblieben.
»Ich mache mich jetzt besser auf den Weg.« Mr. Carlisle nahm seine Aktentasche, öffnete sie und steckte den Notizblock hinein. »Danke, Mrs. Lindquist. Danke, Miss Kaufmann.« Er sah Cora bedeutungsvoll an und stand auf. Als sie ebenfalls aufstand, reichte sie ihm mit dem Scheitel kaum an seine Schultern. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie wenigstens eine Stunde lang frei von ihrem erdrückenden Kummer gewesen war.
Mrs. Lindquist stand neben ihr. »Geht es dir gut, mein Liebes?«
Sie nickte. Und so unglaublich es war, in diesem Augenblick stimmte es.
Er half, und er half schnell. Es kam nicht einmal zu einer Gerichtsverhandlung. Anfang des nächsten Jahres willigten die Kaufmann-Tochter und ihre Brüder in einen Vergleich ein. Cora würde nicht ein volles Viertel vom Erlös der Farm bekommen, aber genug, um den Lindquists etwas Geld zu geben und sich Unterkunft und Sicherheit leisten zu können, bis sie heiratete oder einen Beruf fand. Der Gedanke an das Geld half ihr wirklich und gab ihr mehr Hoffnung für die Zukunft. Aber was sie tatsächlich freute, war ihr rechtmäßiger neuer Name. Sie war jetzt offiziell Cora Kaufmann, bestätigt vom Staat Kansas.
Sie schrieb einen Brief an Mr. Carlisles Kanzlei in Wichita, um ihm mitzuteilen, was sie im kommenden Herbst mit dem Geld machen würde. Sie wollte nach Wichita ziehen, aufs Fairmount College gehen und eine Ausbildung zur Lehrerin machen. Sie dankte ihm für seine Freundlichkeit. Sie schrieb, wie viel ihr sein Mitgefühl und
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