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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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strapaziösen U-Bahn-Fahrt einige Locken wieder lösten.
    Wieder sah sie auf die Uhr im Drugstore. Punkt halb eins ging sie los. Sie hatte sich in der Nacht, als sie im Bett lag und Louise neben ihr schlief, alles genau zurechtgelegt. Falls sie sich verrechnet hatte und Schwester Delores oder eine andere Nonne zur Tür kam, konnte sie sagen, dass sie ihren Sonnenschirm vermisste und ob sie ihn vielleicht bei ihrem letzten Besuch hier vergessen hatte. Das sagte sie sich immer wieder vor, während sie schon die Fünfzehnte Straße hinunterging und auch, als sie die Stufen hinaufstieg und anklopfte.
    Der Handwerker, der die Tür öffnete, trug denselben Overall wie beim ersten Mal. Vielleicht war es auch ein anderer. Er sah sauber aus.
    »Tut mir leid«, sagte er, ohne zu lächeln. »Die Schwestern halten gerade die Messe. Jeden Tag zur selben Zeit.«
    Sie wich unwillkürlich zurück und musste aufpassen, dass sie nicht auf den Stufen stolperte. Er war Deutscher. Das war ihr beim letzten Mal nicht aufgefallen – er hatte kaum etwas gesagt. Aber jetzt war sie sich fast sicher. Während des Krieges hatte es Varieténummern über Kaiser Wilhelm gegeben, normalerweise einen Komiker mit falschem Schnauzbart, der herummarschierte und mit deutschem Akzent brüllte und tobte, bis er eine Torte ins Gesicht bekam.
    »Oh«, sagte sie. »Könnte ich vielleicht wieder warten?«
    Er nickte.
    »Danke«, sagte sie mit einem Lächeln, das so liebenswürdig wie das eines Ziegfeld Girls war.
    Er trat zur Seite und deutete auf den Eingang. Er war nur ein bisschen kleiner als sie, aber seine Schultern waren breit, seine Oberarme kräftig. Sie ging an ihm vorbei und wartete, bis er die Tür geschlossen und abgesperrt hatte. Oben sangen die Mädchen zu Klavierbegleitung.
    Die Schlüssel, die an einer Schlaufe seines Overalls hingen, klirrten, als er Cora den Flur hinunterführte. Ihr Blick heftete sich auf seinen schütter werdenden Hinterkopf, das blonde, an den Seiten kurze Haar.
    »Ein angenehmer Regen heute Morgen, nicht wahr?«, bemerkte sie. »So erfrischend.«
    Er sah kaum über die Schulter, aber er nickte. Sie folgte ihm durch die Küche in den Speisesaal. Drei der langen Tische waren so sauber und kahl wie beim letzten Mal, aber der Tisch hinten in der Ecke war mit einem weißen Öltuch bedeckt, auf dem, umgeben von Werkzeug und Schrauben, eine ungefähr dreißig Zentimeter hohe Mahagonikiste stand.
    »Möchten Sie einen Schluck Wasser?«
    »Oh! Oh ja! Danke.« Sie lächelte immer noch. »Sie waren so aufmerksam neulich und heute wieder. Weil Sie mir Wasser anbieten, meine ich.«
    Er warf ihr einen seltsamen Blick zu, bevor er in der Küche verschwand. Sie strich unter ihrer Hutkrempe über ihr Haar. Vielleicht redete sie zu schnell. Vielleicht war sein Englisch nicht besonders gut. Sie drehte sich um und sah durch die vergitterten Fenster nach draußen, als sie ihre Handschuhe aufknöpfte. Es hatte keinen Sinn, jetzt an Alan zu denken.
    Er dachte auch nicht immer an sie.
    »Tut mir leid wegen der Unordnung«, sagte der Deutsche, als er ihr das Glas Wasser reichte. »Ich arbeite an etwas.«
    »Vielen Dank.« Sie nahm das Glas und schlenderte zu dem hintersten Tisch, wobei sie sich genauso graziös wie Louise bewegte, hoffte sie. Sie musste nicht sie selbst sein. Sie konnte sich ganz anders geben. Sie würde diesen Mann nie wiedersehen. »Ihre Unordnung sieht interessant aus. Was ist das?«
    »Na ja«, sagte er, »es war einmal ein Radio.«
    Sie betrachtete die Kiste, bei der, wie ihr jetzt auffiel, die vordere Verkleidung fehlte, sodass man im Inneren ein Gewirr von schwarzen Drähten und durchsichtigen Röhren sah. Das Vorderteil, an dem einer der Glasknöpfe gesplittert war, lag flach auf dem Tisch. Sie erkannte darin dasselbe Modell, das Alan ihr kurz vor ihrer Abfahrt in einem Geschäft gezeigt hatte. Er wollte sich zwischen diesem und einem anderen Modell entscheiden, während sie weg war. Sie würde an einem Radio bestimmt viel Freude haben, meinte er. Wichitas neuer Sender brachte hauptsächlich Getreidepreise und Wetterberichte, aber es sollte bald mehr Musik und Vorträge geben, Dinge, an denen sie interessiert war.
    Sie berührte mit einem Finger den gesplitterten Glasknopf. »Was ist damit passiert?«
    »Das war beim Transport auf dem Schiff. Irgendjemand hat es fallen lassen, und man hat es weggeworfen.« Er stand mit verschränkten Armen neben ihr und betrachtete das Radio. »Ein Freund hat mir davon erzählt, und ich

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