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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Ist das nicht ihr Job?«
    Louise zuckte zusammen, bevor sie Cora anstarrte, als wäre sie die beschränkteste Person auf dem Planeten. Auch mit den stumpfen Stirnfransen konnte sie Myra sehr ähnlich sein.
    »Schauspielerei ist keine Fälschung, Cora. Jedenfalls nicht gutes Schauspiel.« Sie schüttelte angewidert den Kopf. »Eine richtige Schauspielerin, eine richtige Künstlerin, fühlt jede Emotion, die sie zeigt. Sie haben doch gerade Fanny Brices Auftritt gesehen. Wollen Sie mir sagen, dass Sie keinen Unterschied zwischen ihrer Mimik und dem Grinsen dieser idiotischen Tänzerinnen erkennen?«
    »Fanny Brice ist einfach komisch.«
    »Sie ist ein Genie.«
    Aha, dachte Cora und lächelte leicht. Endlich jemand, der Eindruck auf das Mädchen machte. Louise bewunderte natürlich auch ihre Mutter und ebenso das ältere Mädchen namens Martha bei Denishawn, von dem Louise behauptete, es wäre die beste Tänzerin, die sie je gesehen hätte. Ein dreiblättriges Kleeblatt. Alle anderen ernteten von Louise nur Verachtung, soweit Cora es beurteilen konnte.
    Ein Mann mit silbergrauem Haar ging an ihnen vorbei und starrte Louise unverhohlen an. Louise starrte mit glimmenden dunklen Augen zurück, bevor sie sich an Cora wandte.
    »Ein elegantes Publikum, nicht wahr?«
    Cora nickte. Sie hatte gerade gedacht, wie seltsam es war, dass dieses Theater voller Frauen in paillettenbesetzten Roben und Seidenkleidern, etliche mit langen Perlschnüren oder Stahlbrillanten, einige mit Zigarettenspitzen, nur ungefähr dreißig Blocks von dem Viertel entfernt war, in dem sich das Waisenhaus befand. Es schien beinahe unglaublich, dass beide Orte zur selben Stadt gehörten, sogar zur selben Seite von Manhattan. Genauso gut hätte ein Ozean zwischen ihnen liegen können.
    »Finden Sie das wirklich?« Louise sah sie erwartungsvoll an.
    »Natürlich.« Cora musterte sie misstrauisch. Es sah Louise nicht ähnlich, Wert auf ihre Meinung zu legen.
    »Hm.« Louise lächelte und befingerte wieder die Perlen. »Ihnen ist bestimmt aufgefallen, wie viele Frauen hier geschminkt sind.«
    Cora schürzte die Lippen. Darum ging es also. Bevor sie an diesem Abend die Wohnung verließen, hatte es einen Streit darüber gegeben, ob Louise für den Theaterbesuch Rouge und Lippenstift auflegen durfte. Cora hatte nicht nachgegeben und Louise angewiesen, ihr Gesicht abzuwaschen. Sie hatte die Behauptung des Mädchens, dass Myra ihr regelmäßig erlaubte, sich wie eine Dirne anzumalen, nicht geglaubt. Was Cora anging, waren geschminkte Lippen und Wangen unverkennbare Merkmale für Frauen einer ganz bestimmten Profession.
    Als sie sich jetzt umsah, stellte sie jedoch fest, dass viele, wenn nicht fast alle anwesenden Frauen ungeniert Eyeliner und Lidschatten benutzten und ihre Lippen tiefrot und glänzend schminkten. Nicht wenige trugen Röcke, die knapp über ihre Knie reichten. Verglichen mit den stark geschminkten und nahezu unbekleideten Ziegfeld Girls, denen sie alle gerade applaudiert hatten, sahen die Frauen im Foyer allerdings wie Nonnen aus. Nichts von alledem wäre denkbar gewesen, als Cora in Louises Alter war. Vielleicht änderten sich die alten Regeln. Cora erhaschte in einem goldgerahmten Spiegel einen Blick auf sich selbst, ihr langes, hochgeschlossenes Kleid, ihr aufgestecktes Haar, ihr ungeschminktes Gesicht. Als sie die Wohnung verließen, hatte sie sich in ihrem guten blassrosa Kleid mit der Schärpe, die ihre Taille schmal oder wenigstens schmaler machte, sehr hübsch gefunden. Aber keine der jüngeren Frauen im Foyer trug einen so langen Rock wie sie oder einen so hohen Kragen.
    Vielleicht hinkte sie hinter der Zeit her, war in ihren Ansichten genauso provinziell und rückständig wie in ihrer Kleidung. Vielleicht war sie wie die alten Frauen, die ihrer, Coras, Generation vorgehalten hatten, dass sie gegen ihre wahre Natur handelten, wenn sie die Gesetzgeber plagten und Fremde auf der Straße aufforderten, Petitionen für das Frauenwahlrecht zu unterschreiben.
    Aber Cora konnte nicht glauben, dass alle Normen so vergänglich waren. Und wie weit würden diese neuen Modetrends gehen? Wo würden sie enden? Würde man in einigen Jahren von Frauen erwarten, dass sie mit entblößten Schenkeln und Rücken herumliefen, wenn sie nicht als prüde bezeichnet werden wollten? Oder würden Frauen sich vielleicht gar nicht mehr kleiden, nur noch Make-up und Unterwäsche tragen? Alles nur, um modern zu sein? Wie sollte man erkennen, ob eine Frau einer bestimmten

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