Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Hand unter ihren Ellbogen.
Sie holte aus, um ihm abzuwinken, und schlug ihm unabsichtlich ins Gesicht. Sie spürte unter ihrem Handschuh seine Brille und hörte, wie sie klirrend auf den Boden fiel.
»Setzen Sie sich!« Er drückte ihre Schulter. »Sie müssen sich hinsetzen!«
»Fassen Sie mich nicht an!«
»Na gut.« Er lachte wieder, und sie begriff die Bedeutung, die Grausamkeit dieses Lachens. Er wollte sie nicht anfassen. Das war der Witz. Der Einwanderer aus Deutschland wollte sie nicht anfassen.
»Es geht mir gut«, sagte sie, obwohl sie jetzt, ohne es zu wollen, weinte. Sie drehte sich um und hielt sich an der Kante der Bank fest. Sie hatte nur einen Handschuh an. Den anderen hatte sie irgendwo fallen lassen.
»Ich hole Ihnen Ihr Wasser. Wenn Sie jetzt aufstehen, klappen Sie sofort zusammen. Nicht! Warten Sie einfach!« Er wandte sich zum Gehen, hielt aber inne. »Könnten Sie … könnten Sie versuchen, sich vorzubeugen und den Kopf zwischen Ihren Knien baumeln zu lassen?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie konnte es wirklich nicht. Nicht im Korsett. Sie spürte eine lose Haarsträhne, die feucht an ihrem Nacken klebte. »Sie haben mich missverstanden«, brachte sie mühsam heraus. Er musste es wissen. »Ich wollte nur nett bitten, mehr nicht. Ich wollte nur nett um etwas bitten, das ich brauche.«
Er kam mit dem Wasser zurück. Sie nahm das Glas, und er setzte sich ans andere Ende der Bank.
Er trug seine Brille wieder.
»Trinken Sie«, sagte er.
Sie schaute nach unten und versuchte, ihren Handschuh auszuziehen.
»Was machen Sie denn da?« Er rückte näher. »Lassen Sie den Handschuh. Trinken Sie!«
Sie wandte sich ab, hielt das Glas an ihre Lippen und trank, so gut es ging. Ihre Nase lief. Aber das machte nichts. Alles war gut. Niemand von daheim, in der richtigen Welt, würde je etwas davon erfahren. Sie konnte zur Tür hinausgehen, eventuell sogar lächeln, und es würde sein, als wäre es nie passiert. Das wusste sie besser als jeder andere.
»Okay«, sagte er. »Ich helfe Ihnen.«
Sie drehte sich wieder zu ihm um. »Wie bitte?«
»Ich helfe Ihnen. Ich weiß, wo die Unterlagen sind.« Er schüttelte den Kopf. »Aber heute ist es zu spät. Sie kommen bald nach unten. Sie müssen an einem anderen Tag wiederkommen, dann lasse ich Sie rein.«
Cora starrte ihn an. »Warum? Warum wollen Sie mir helfen?«
Er zuckte die Achseln.
»Sie haben Mitleid mit mir.«
Wieder zuckte er die Achseln. »Ja.«
Sie wandte sich ab, die Hände zu Fäusten geballt und dicht an ihr Gesicht gepresst, und starrte auf ihre zweckmäßigen Schuhe. Sie sollte froh sein. Er würde ihr helfen. Das war alles, was sie von ihm gewollt hatte. Sie hätte gleich an sein Mitleid appellieren sollen – das war ihre starke Seite. Was hatte sie sich bloß gedacht? Dass sie eine strahlende Schönheit war? Oder auch nur charmant? Sie war nicht Louise. Sie war nie wie Louise gewesen, nicht einmal, als sie jung war. Wenn Alan sie jetzt sähe und alles wüsste, würde er wahrscheinlich auch nur Mitleid für sie empfinden. Das war das Gefühl, das sie am ehesten in Männern hervorrief. Und eigenartigerweise Bewunderung. Das sagte Alan ständig. Dass er sie bewunderte. Er bewunderte sie so sehr.
»Alles in Ordnung?«, fragte der Mann. Er stützte seine Ellbogen auf den Tisch und hatte die Beine so übereinandergeschlagen, dass sein Knöchel auf einem Knie lag. Er sah sie an und wartete, aber in seinem Blick war weder Grausamkeit noch Geringschätzung zu erkennen, das sah sie, nun, da sie ruhiger war. Er machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Ich bin ein bisschen verlegen«, sagte sie und richtete sich auf. »Ansonsten ist alles in Ordnung, ja. Danke. Am Wochenende geht es bei mir nicht. Aber ich kann Montag kommen, falls es Ihnen passt.«
Er sah sie immer noch an, und als er lächelte, verschob sich seine Brille ein wenig nach oben.
10
Obwohl sie sehr früh aufwachte, kurz vor Morgengrauen, schwitzte sie in ihrem Nachthemd. Es war Samstag, der erste Vormittag ohne Tanzunterricht, und weil sie Louise nicht wecken wollte, schloss sie die Badezimmertür und ließ sich ein Bad einlaufen. Sie blieb eine ganze Weile in der Wanne, las und ließ ab und zu ein bisschen lauwarmes Wasser nachlaufen. Sie ging davon aus, dass Louise anklopfen würde, falls sie aufwachte und etwas brauchte.
Aber als sie aus der Wanne stieg und in ihren Morgenmantel schlüpfte, fand sie das Schlafzimmer leer vor. Das feuchte Haar kühl an ihrem Nacken ging sie ins
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