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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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im Rang gesessen, wie in jedem anderen Theater, in dem Cora je gewesen war. Sie hatte noch nie von einem Ort gehört, an dem es nicht so war.
    »Angeblich eine sehr gute«, sagte Louise und schaute wieder in ihr Buch. Sie zeigte mit einer lässigen Handbewegung auf die Sitze vor ihnen. »Und sehr beliebt, wie es scheint.«
    Coras Blick wanderte über die Sitze und kehrte zu ihrem Programm zurück. Als besonders beunruhigend empfand sie, dass eine der Nummern Jazz hieß. War es eine Jazz-Show? Eine radikale mit gemischtem Publikum? Sie war als Anstandsdame nicht viel wert, fand sie, wenn sie einfach passiv dasaß und darauf wartete, dass die Musik begann. Erst im Vorjahr war im Ladies’ Home Journal in einem Artikel davor gewarnt worden, dass das neue Jazzfieber eine echte Gefahr für die Jugend darstellte, weil diese Musik regelmäßig zu einer unschicklichen Form des Tanzens führte, die niedere Instinkte weckte. Allein schon Jazz zu hören war schlecht, stand in dem Artikel: Die primitiven Rhythmen und röhrenden Saxofone waren bewusst sinnlich und wirkten geradezu hypnotisch auf junge Leute. Cora wusste, dass Viola ihren Töchtern strikt verboten hatte, jemals Jazz anzuhören.
    »Louise, ich finde, wir sollten gehen.«
    »Ich gehe nirgendwohin.« Das Mädchen sah nicht einmal auf.
    Cora hätte darauf bestehen oder es wenigstens versuchen können, aber genau in diesem Moment setzte sich eine Farbige auf den Platz rechts von ihr. Cora blickte auf, und die Frau, deren kurzes Haar in elegante Wellen gelegt war, lächelte kurz, bevor sie den Blick auf den Vorhang vor der Bühne richtete. Ein dünner farbiger Junge von ungefähr zwölf saß neben ihr, sein zusammengerolltes Programm wie ein Teleskop vor seinem Auge. Cora, die Herzklopfen hatte, faltete ihr Programm erst in der Hälfte und dann noch einmal zusammen. Sie konnten jetzt nicht aufstehen und gehen – nicht ohne den Eindruck zu erwecken, dass sie der Nähe dieser Frau und ihres Jungen entfliehen wollten, dass sie sich durch sie in irgendeiner Weise persönlich beleidigt fühlten, was keineswegs der Fall war. Cora hatte kein Problem mit Farbigen. Sie hatte Della zum Beispiel sehr gern. Sie vergaß nie, ihr zu sagen, wie sehr sie ihr Können als Haushälterin und Köchin schätzte. Sie war es gewesen, die Alan vor einem Jahr nahegelegt hatte, Dellas Lohn zu erhöhen, und sie hatte immer versucht, freundlich und verständnisvoll zu sein, wenn Della bei einem ihrer Kinder zu Hause bleiben musste.
    Sie hatte einfach nicht erwartet, in einem Theater neben Farbigen zu sitzen. Sie hatte immer gehört, dass Farbige, wenn sie nicht gerade Kommunisten oder Störenfriede waren, lieber oben auf dem Balkon unter sich blieben und dass sich die meisten ohnehin nicht fürs Theater interessierten.
    Sie hatte sich gerade ein wenig beruhigt, als das Orchester seine Plätze einnahm. Cora machte große Augen. Die Musiker waren Farbige, nicht Weiße mit schwarz bemalten Gesichtern, sondern richtige Farbige. Alle. Cora starrte sie an. Daheim hatte sie farbige Pianisten in Minstrel Shows gesehen, die herumalberten und grinsten und ihre Gesichter mit Farbe oder angesengtem Korken noch dunkler gefärbt hatten. Aber das hier war eindeutig etwas anderes. Sie hatte noch nie eine Show mit farbigen Geigern, farbigen Oboisten und farbigen Saxofonisten gesehen, und ganz gewiss hatte sie noch nie einen farbigen Dirigenten gesehen, der in seinem dreiteiligen Anzug und den blank polierten Schuhen völlig entspannt wirkte. Ihre Augen wanderten nach links. Louise. Louise musste gewusst haben, dass es keine gewöhnliche Broadway-Show war. Hielt sie es für eine Art Scherz, Cora Karten für diese Aufführung kaufen zu lassen? War es zum Brüllen komisch, die Hausfrau aus Kansas in ein radikales Theater zu bringen?
    Was Cora nicht wusste, war, dass sie mit ihrer Meinung nicht allein war. Obwohl die anderen Zuschauer sich sehr gelassen gaben, hatte ein Großteil New Yorks Shuffle Along mit ähnlich gemischten Gefühlen aufgenommen. Bevor die Show im Jahr 1921 eröffnete, glaubte niemand, dass ein weißes Publikum dafür zahlen würde, ein Musical zu sehen, das ausschließlich von Schwarzen produziert, inszeniert und aufgeführt wurde. Die Produzenten nahmen die Halle auf der Dreiundsechzigsten Straße nur, weil sie keine anderen Räumlichkeiten bekommen konnten, aber nach der Eröffnung füllte das Stück das Theater mit einem begeisterten, hingerissenen Publikum – sowohl schwarz als auch weiß

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