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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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–, und das an über fünfhundert Abenden.
    Die Show schrieb in vielerlei Hinsicht Geschichte. Ungefähr fünfzig Jahre später, als Coras Patensohn, der Dentist, der im selben Sommer, als Cora mit Louise in New York war, in Wichita zur Welt kam und der im Zweiten Weltkrieg unter General Eisenhower in Nordafrika kämpfte, feststellte, dass seine alte Patentante im Jahre 1922 die Broadway-Produktion von Shuffle Along gesehen hatte, fragte er sie, ob sie sich vielleicht an eine schöne junge Schwarze erinnerte, die mit Sicherheit allen anderen die Show gestohlen hatte, dasselbe Mädchen, das als Josephine Baker oder die faszinierendste Frau der Welt berühmt wurde, so ungeheuer populär in ihrer Wahlheimat Frankreich, dass nicht einmal die Nazis es während der Besetzung wagten, sie anzurühren, dasselbe Mädchen, aus der die Bronze Venus oder die Schwarze Perle oder einfach La Baker werden sollte, wie sie genannt wurde, als sie vor den alliierten Truppen auftrat und Coras jungen Patensohn dermaßen verzückte, dass er zu Hause nach dem Krieg alles las, was je über La Baker gedruckt worden war, als würde er damit seine Chancen verbessern, falls sie je beschließen sollte, Frankreich zu verlassen und nach Amerika zurückzukehren, und vielleicht eines Tages zufällig in Wichita landete, Zahnschmerzen bekam und in seine Praxis rauschen würde, woraufhin er seine Frau aufgeben und Josephine Baker seine unsterbliche Liebe erklären würde.
    Nein, hatte Cora antworten müssen, so leid es ihr tat, ihn zu enttäuschen. Sie konnte sich nicht an ein bestimmtes Mädchen erinnern. Ihr Patensohn sah einen Moment lang enttäuscht aus, tippte sich dann aber an den Kopf und sagte, nein, natürlich nicht, Josephine Baker hatte für Shuffle Along vorgesprochen, war aber zunächst mit der Begründung, sie wäre für die Bühne zu dünn und zu dunkel, abgelehnt worden. Man ließ sie hinter der Bühne als Garderobiere arbeiten, wo sie sich heimlich die Texte und Tanzschritte einprägte, während sie den Stars beim Wechseln der Kostüme half. Monate später, als eine der Tänzerinnen ausfiel, übernahm Josephine Baker als das Naturtalent, das sie war, als die Legende, zu der sie werden sollte, ihre Rolle und zeigte es allen. Aber an dem Abend, als Cora und Louise die Vorstellung besuchten, war Josephine Baker, die im selben Jahr geboren worden war wie Louise, noch hinter der Bühne, nur eine Hilfskraft, unbeachtet und unzufrieden.
    War es das, was in jenem Juli in der Luft lag? All das Talent und der Ehrgeiz und das Verlangen, so greifbar nah, dass Cora nicht anders konnte, als es einzuatmen? Denn selbst nach vielen Jahren erinnerte sie sich, wie sie an jenem Abend in der Dreiundsechzigsten Straße trotz ihres Unbehagens und ihrer Angst irgendwann aufhörte, sich Sorgen zu machen und sich insgeheim über Louise zu ärgern, und anfing, die Show zu genießen. Sie klopfte mit ihren Zehen, die in zu engen Schuhen steckten, im Takt zu den synkopischen Rhythmen und bekam am Ende der getragenen Ballade Love Will Find a Way feuchte Augen. Das hatte sie selbst überrascht. Sie hatte noch nie ein Stück über die Liebe zwischen Farbigen gesehen, und allein die Vorstellung war ihr abwegig und albern vorgekommen, aber nach diesem Lied dachte sie nicht mehr so.
    Cora war Anfang siebzig, als in Wichita eine Gruppe junger Schwarzer beschloss, sich jeden Tag im Dockum Drugs an die Theke zu setzen, von morgens bis abends, und zwar so lange, bis sie bedient wurden. Sie ertrugen Beschimpfungen, Drohungen und Langeweile, aber nach einem Monat gab der Besitzer des Dockums, der es satthatte, eingeschüchterte oder beiseitegedrängte Kunden zu verlieren, schließlich nach und bediente die schwarzen Jugendlichen an der Theke. Viele Weiße in Wichita glaubten, dass sie Grund zur Sorge hätten, denn wenn bei Dockum jetzt Schwarze bedient wurden, kamen sie möglicherweise auf die Idee, dass sie überall willkommen waren. Wenn Cora ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie vielleicht genauso gedacht hätte, wenn da nicht dieser Abend im Jahr 1922 gewesen wäre, als sie zwischen Louise und der Schwarzen mit den Wasserwellen gesessen und einen schwarzen Dirigenten mit einem schwarzen Orchester und schwarze Männer und Frauen gesehen hätte, die redeten und tanzten und I’m Just Wild About Harry sangen, und Schwarze und Weiße, die zusammen applaudierten. Und nichts Schlimmes war passiert. Obwohl sie an jenem Abend mit all ihren Sorgen und ihrem Kummer ins Theater

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