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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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anpassen.« Er hielt inne, um den Kinderwagen über einen Randstein zu heben. »Ich spare für eine Wohnung. Vielleicht klappt es im nächsten Jahr, und ich kann arbeiten, während Greta in der Schule ist. Im Moment hängt sie noch auf dem Dach Wäsche auf. Aber wenn wir nicht von hier weggehen, kommt sie bald in die Wäscherei. Ich weiß, dass die Schwestern Schmutzwäsche übernehmen müssen, um Geld für das Heim zu verdienen. Aber ich will nicht, dass Greta so hart arbeiten muss, wenn sie noch so klein ist.«
    Cora erinnerte sich an die Hände der älteren Mädchen, an die Verbrennungen vom kochend heißen Wasser. Ihre eigenen Hände waren in den Handschuhen glatt und unversehrt. »Welche Art Arbeit suchen Sie?«
    »Ich nehme alles. Ich mache in der Nachbarschaft sowieso schon Gelegenheitsjobs, repariere Sachen und so. Man kennt mich.« Er nahm eine Hand vom Griff und zeigte auf seinen Mund. »Aber mein Akzent erschwert es.« Er lächelte resigniert. »Ich bin der Hunne.«
    »Warum gehen Sie nicht zurück?« Sie sprach mit gesenkter Stimme, so leise, dass sie sich über das Quietschen der Räder und die Motoren der Autos auf der Straße kaum selbst hören konnte. Es war wirklich nur eine Frage, weil es sie interessierte, nicht etwa ein unhöflicher Vorschlag.
    »Nach Deutschland? Nein. Dort sieht es mit der Inflation und den Reparationszahlungen gar nicht gut aus. Wir hätten noch mehr Probleme als hier.« Er schüttelte den Kopf. »Und noch etwas. Ich bin nach Amerika ausgewandert, als ich neunzehn war. Und vorher habe ich mir nichts mehr gewünscht, als herzukommen.« Er sah auf die Straße, die vorbeibrausenden Autos. »Ich mag dieses Land, die Idee, die dahintersteht. Kurz bevor ich nach Oglethorpe geschickt wurde, hatte ich daran gedacht, mich freiwillig zum Militär zu melden.«
    Cora hätte ihn fast darauf hingewiesen, dass er, wenn er diese Aussage gleich zu Kriegsbeginn gemacht hätte und vor der Flagge niedergekniet wäre, möglicherweise gar nicht erst nach Oglethorpe geschickt worden wäre. Aber natürlich war es ein Unterschied, ob man ein Land liebte, es aufrichtig für all das liebte, was es verkörperte, oder sich befehlen zu lassen, auf die Knie zu gehen, um es zu beweisen.
    »Ah, sehen Sie mal«, sagte er und wurde langsamer. »Unser Lokal.«
    Cora blickte auf. Sie standen vor dem Drugstore, wo sie Orangeade getrunken hatten. Cora konnte im Laden die ältere Italienerin hinter dem Tresen sehen.
    »Da Sie den Mädchen ein so teures Geschenk machen, würde ich Sie gern auf eine Orangeade einladen.« Er sah sie an. »Haben Sie Zeit?«
    Sie zögerte. Es ging nur um eine Limonade, mehr nicht. Aber er war arm und sparte jeden Cent, und sie wollte nicht, dass er auch nur einen Nickel für sie ausgab. Aber wahrscheinlich war es für ihn auch eine Frage des Stolzes. Und er sah sie so warm an, als wären sie bereits gute Freunde. Sie wollte ihm nicht gerade jetzt einen Korb geben.
    Sie schwieg, als sie am Ladentisch standen und warteten, obwohl die Italienerin, deren Hände diesmal keine Flecken aufwiesen, sie erkannte und lächelnd auf den Kinderwagen zeigte und einen Scherz über ihr Radio-Bambino machte. Joseph erklärte ihr, dass Cora das Radio für die Mädchen im Waisenhaus gekauft hatte, und die Frau nickte, obwohl unklar war, ob sie ihn auch wirklich verstanden hatte. Cora beobachtete ihn beim Reden. Er hatte seine Mütze abgenommen, als sie hereinkamen, und sie stellte fest, dass sein Gesicht markante Züge hatte – er brauchte keinen dichten Haarschopf. Er bezahlte die Getränke und warf Cora ein freundliches, offenes Lächeln zu. Als sie ihm folgte, fragte sie sich, wie seine verstorbene Frau gewesen war, wie jung, wie hübsch.
    »Erzählen Sie mir etwas über Ihr Leben in Kansas«, sagte er. Ihre Stühle standen dicht nebeneinander. Er hatte einen Ellbogen auf dem Tisch, den anderen auf der Rückenlehne seines Stuhles. »Sie wissen alles über mich, und ich weiß so gut wie nichts über Sie.«
    Sie senkte den Blick und machte sich an den Knöpfen ihrer Handschuhe zu schaffen. Sie wollte ihm nicht antworten. Ihr hätte es genügt, mehr über ihn oder das Waisenhaus oder das Viertel zu erfahren und sich dabei die ganze Zeit leicht berauscht zu fühlen von einer Aufmerksamkeit, die ausschließlich ihr galt, von dem goldenen Streifen in seinem Auge, seiner angenehm tiefen Stimme. Aber die Schonfrist war vorbei. Er hatte gefragt. Und ihr war es nicht möglich, einfach zu lügen, ihre Familie

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