Das Schneemädchen (German Edition)
Ihre hochgewachsene, schlanke Gestalt ließ noch nichts von der Schwangerschaft erkennen.
Am Rand des Erdbeerfeldes blieb Faina stehen und hockte sich neben den Hund, legte ihm eine Hand unters Kinn und fuhr ihm mit der anderen zwischen die Ohren, und wieder grinste das Tier wie damals an jenem ersten Tag. Als Faina aufstand und stumm zu Boden deutete, legte sich der Hund, immer noch hechelnd, flach auf die Erde.
Im Weitergehen pressten sich ihre bloßen Füße so fest in den Lehm, dass er zwischen ihren Zehen hervorquoll. Sie nahm Mabels Hände und küsste sie auf die Wange. Als sie losließ, schloss Mabel sie in die Arme und hielt sie lange umfangen, obwohl sie spürte, wie die Sonne Faina auf den Rücken brannte.
Gut siehst du aus, sagte Mabel.
Mir geht es auch gut, sagte sie. Mir geht es gut.
Kapitel 51
Jack führte Garrett über den Fahrweg zu einer Wiese in Sichtweite des Flusses.
«Die gehört euch», sagte Jack. «Betrachtet es als Hochzeitsgeschenk. Hier bauen wir euch das Blockhaus hin, mit Blick auf die Berge.»
«Das ist eine schöne Stelle.»
Am folgenden Abend, als sie gegessen hatten und Jack annahm, Garrett habe sich nach dem langen Pflanztag schon zum Schlafen in den Stall verzogen, sagte er zu Mabel, er wolle noch ein wenig frische Luft schnappen, und ging zu der Wiese. Dort fand er Garrett, der mit Schaufel und Axt den groben Umriss eines Blockhauses markierte.
Die Arbeit folgte einem Rhythmus, hatte Ziel und Zweck, und Jack und Garrett fügten sich mühelos, ja erleichtert hinein: das Hin und Her der Zweimannsäge und der Donnerkrach umstürzender Bäume, die glatte Bahn des Ziehmessers über die Fichtenstämme, von denen sich die Rinde in langen Streifen schälte, das Spalten und Schneiden mit der geschärften Axt, eine jede Kerbe von Hand geschlagen. Liebe und Hingabe, die unsägliche Hoffnung und Furcht, die der schwellende Leib einer Frau barg – all das blieb unausgesprochen. Um Mitternacht hievten sie einen weiteren Stamm an seinen Platz, hörten Wanderdrosseln und Winterammern in den Bäumen zwitschern, und das war ihnen genug.
Als alles gepflanzt war, reichten die Blockhauswände ihnen bis zur Taille, und nun, da sie jeden Tag zur freien Verfügung hatten, kamen sie schneller voran. Die schwersten Arbeiten überließ Jack dem Jüngeren; mitunter setzte er sich auf einen Baumstamm, um seinem müden Rücken eine Rast zu gönnen, und sah Garrett zu. Mabel brachte ihnen mittags oft das Essen in einem Korb und blieb zuweilen noch ein wenig, um mit ihnen zu beratschlagen, wo ein Fenster zu setzen sei oder wie die vordere Veranda aussehen sollte.
Faina ließ sich nicht blicken. Jack nahm an, dass sie und Garrett sich gelegentlich zu verschwiegenen Zusammenkünften trafen, doch nie fand das Mädchen sich zum Abendessen bei Jack und Mabel ein. Ausnahmsweise war es Jack, der sich deswegen sorgte.
«Sollte sie sich nicht ausruhen und regelmäßige Mahlzeiten zu sich nehmen?»
«Ihr geht es gut», sagte Mabel.
«Warum ist sie nicht hier und bleibt bis zur Hochzeit bei uns?»
«Sie ist dort, wo sie sein muss. Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit.»
«Was meinst du damit?»
«Bald wird sich ihr Leben ändern. Was auch geschehen mag, sie wird nicht mehr wie eine wilde Elfe durch die Wälder schweifen können. Alles wird anders.»
«Ja, vermutlich. Ich möchte nur sicher sein, dass sie wohlbehalten und gesund ist.»
«Ich auch.» Mabels Ton hatte etwas wehmütig Gefügiges, das ihm neu war.
An einem warmen Junitag kam Faina mit dem Hund in großen Sätzen zwischen den Bäumen hervor, als seien sie mitten in einem Wettrennen. Garrett saß rittlings auf einer halbfertigen Wand, Jack beförderte eben einen neuen Stamm per Flaschenzug an Ort und Stelle. Faina lief zu ihnen hin, barfuß, in einem kurzärmligen Kleid, Arme und Beine braun gebrannt und straff, die langen Haare von der Sonne weiß gebleicht.
Garrett und sie lächelten einander scheu zu, und Jack kam sich vor wie ein Störenfried. Garrett sprang von der Bohlenwand und führte sie durch den roh gezimmerten Eingang in das noch dachlose Haus.
Ich weiß schon, man kann es sich schlecht vorstellen, wenn vorerst nur die Außenwände stehen, aber das hier drüben wird die Küche, und durch das Fenster sieht man auf den Fluss. Wird das nicht schön?
Faina nickte, doch ihr Blick war abwesend, als fühlte sie sich in einem seltsamen Traum befangen.
Der Ofen kommt hierher. Und da durch geht es zur Schlafkammer, für uns und das Kind.
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