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Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
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so vieles gemeinsam. Sie lieben diesen Ort hier, und sie lieben einander.»
    «Aber wer ist sie denn nun eigentlich genau? Ein wildes Ding aus den Bergen. Die meiste Zeit weiß Garrett nicht mal, wo sie sich gerade herumtreibt. Wenn sie erst einmal ein schreiendes Balg und einen Haufen schmutziges Geschirr am Hals hat, was dann? Hat sie überhaupt die Ausdauer, eine Ehefrau und Mutter zu sein?»
    Mabel schnürte es die Kehle zu. Sie ging um die Ecke des Blockhauses und tat, als mustere sie die andere Wand. Im Nu war Esther an ihrer Seite.
    «Ach, Mabel. Ich wollte dich nicht kränken. Ich weiß doch, dass sie für euch wie eine Tochter ist, und mein Sohn liebt sie, so viel steht fest. Das sollte uns Übrigen genügen, oder?»
    Mabel nickte lächelnd und blinzelte die Tränen weg. Die beiden Frauen umarmten einander und gingen Arm in Arm zu Jacks und Mabels Haus zurück.

    Die Albträume waren zurückgekehrt. Nackte, weinende Babys zerschmolzen ihr in den Händen und tropften zu Boden, sosehr sie auch die Finger zusammenpresste und die Hände wölbte. Manchmal drückte sie die Kinder an die Brust und wurde dann gewahr, dass ihr eigener warmer Leib ihren Tod herbeiführte.
    Dann erschien ihr Faina – ihr Gesicht zwischen den Bäumen, wie durch ein Fenster voller Regenschlieren gesehen. Im Traum lief Mabel hinaus, und es regnete wie früher daheim im Sommer, eine warme Sturzflut, eine Wasserwand, die einem die Sicht nahm. Sie rief Faina beim Namen, wollte durch den Wald laufen und sie suchen, doch der Regen füllte ihr Augen und Mund, und beim Erwachen rang sie nach Luft. In einem anderen Traum stand Mabel bis zur Hüfte im Fluss und hielt Fainas nasse Hände umklammert, versuchte sie festzuhalten, aber die Strömung war zu stark und sie zu schwach, und Faina entglitt ihrem Griff und wurde von den schlammigen Fluten davongetragen. Das Mädchen schlug mit den Armen um sich und schrie nach Mabel, hilf mir, bitte, bitte, hilf mir, doch sie konnte sich nicht rühren. Stand da und sah zu, wie ihre wunderschöne Tochter vor ihren Augen ertrank. Konnte kein Glied rühren, nicht schreien oder auch nur ein Wort sprechen, niemals, in keinem dieser Träume.

    Der Tag der Hochzeit kam, und Esther hatte recht behalten – das Blockhaus war nicht fertig, auf seine Art aber umso schöner, wie eine Kathedrale aus Bäumen und Himmel. Mabel ging schon frühmorgens hin und genoss die Einsamkeit. Es war ein heiliger Ort geworden: der Klang des Flusses, der Duft der frisch geschälten Fichtenstämme, der blaue Himmel, die grüne Wiese. Flauschige weiße Pappelsamen trieben im sachten Wind dahin wie Federn.
    Jack war noch bei ihnen zu Hause und belud den Wagen mit Tischen und Stühlen, die zum neuen Blockhaus transportiert werden sollten. George und Esther wollten erst kurz vor der Zeremonie eintreffen und das Essen für danach mitbringen. Die Trauung selbst sollte Garretts ältester Bruder Bill vollziehen. Er war zwar kein Pfarrer oder auch nur ein regelmäßiger Kirchgänger, aber Garrett hatte es sich gewünscht, und niemand erhob Einwände dagegen. Obwohl Bill durchaus wortgewandt war, hätte Mabel einen geweihten Priester vorgezogen, behielt dies aber für sich. Allerdings hatte sie darauf bestanden, dass außer den Brüdern mitsamt ihren Frauen und Kindern keine weiteren Gäste zur Hochzeit eingeladen wurden.
    Sie hatten einen Teil des unfertigen Blockhauses mit weißen Bettlaken verhängt, damit sich Faina ungestört ankleiden und schmücken konnte. Noch war an diesem Morgen nichts von ihr und dem Brautkleid zu sehen.
    Die Rohseide für das Kleid, das Mabel genäht hatte, verdankte sie Esther; es waren Reste vom Hochzeitsgewand ihrer ältesten Schwiegertochter.
    «Sie musste unbedingt jede Menge von dem Zeug haben», sagte Esther. «Wollte Rüschen und Plissee und Volants. Ein Wunder, dass in dem Ding von ihr überhaupt noch was zu sehen war. Ich bin bloß heilfroh, dass ihre Eltern die Kosten für die Schneiderin übernommen haben.»
    Die elfenbeinfarbene Seide war per Schiff aus einem Fachgeschäft in San Francisco angeliefert worden und hatte sicherlich mehr gekostet, als Mabel und Jack hätten aufbringen können, doch Esther erklärte hartnäckig, niemand sonst habe Verwendung für das, was davon übrig geblieben war. Mabel leistete keinen allzu großen Widerstand – der Stoff war von erlesener, schwerer Qualität und wunderschön gewebt.
    Sie hatte zwar kein passendes Schnittmuster zur Hand, sah aber Fainas Hochzeitskleid so

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