Das Schneemädchen (German Edition)
war windstill und kalt, womöglich die kälteste, die Mabel je erlebt hatte. Der Schnee knirschte unter ihren Tritten, und die Luft war so eisig, dass sie noch die dickste Wolle durchdrang und die Lunge einschnürte. Mabel zögerte. Vielleicht war es doch nicht das Richtige. Aber dann hörte sie Fainas lange, befreite Atemzüge und stellte sich vor, wie himmlisch kalt die Luft an ihrer fieberheißen Stirn sein musste. Links und rechts untergehakt, führten Mabel und Garrett sie das kurze Stück vom Blockhaus zu der behelfsmäßigen Schlafstatt, auf die Faina sich mit Garretts Hilfe legte. Als er eine Decke aus Biberfell über sie breitete, stieß sie einen langen Seufzer aus. Mabel hatte die Hochzeitsdecke vom Bett mitgenommen und deckte Faina auch damit noch zu.
Schau dir die Sterne an, raunte Garrett. Siehst du sie alle?
Ja. Sie sind wunderschön.
Er setzte sich neben sie auf einen Küchenstuhl, und Mabel ging zurück ins Haus. Kurze Zeit später wurde das Baby wieder wach und wollte herumgetragen werden. Mabel fragte Garrett, ob er eine Weile hereinkommen wolle, und bot an, sich zu Faina zu setzen.
Möchtest du lieber, dass ich hierbleibe?, fragte er Faina. Oder vielleicht solltest du ohnehin so langsam wieder hinein?
Nein, sagte sie sanft. Geh ins Haus. Nimm unseren Sohn auf den Arm.
Mabel beugte sich über Faina, steckte die Hochzeitsdecke rings um sie fest und drückte ihr die Ohrenklappen der Mütze dicht an die Wangen. Dann hüllte sie sich in eine Decke, die sie aus dem Haus mitgebracht hatte, und setzte sich auf den Stuhl.
Geht es dir gut, Kind?
Oh ja. Hier draußen, wo die Bäume sind und der Schnee, kann ich wieder atmen.
Es war wie in einem eigenartigen Traum: Fainas stille Seufzer und dann und wann das Krachen und Knallen von Flusseis und das Bersten knickender Äste in der Kälte; Sterne, allüberall in der weiten, tiefen Nacht, die nur von der zerklüfteten Bergkette durchbrochen und begrenzt wurde. Hinter den matt erleuchteten Gipfeln schossen Lichtsplitter in den Himmel, blaugrün wie ein nur noch schwach züngelndes Feuer, und verwirbelten gewunden und verdreht zu Kreisen aus purpurnen Bändern, die hoch bis über Mabels Kopf reichten und knisterten wie eine Wolldecke bei Nacht in einem trockenen Raum. Mabel sah zum Polarlicht empor und fragte sich, ob die kalte Glut dieser Schemen ihr vielleicht am Ende den Atem und die Seele aus dem Leib ziehen würden, bis hinauf zu den Sternen.
«Herrgott, Mabel, du bist ja völlig eingeschneit. Wo ist Faina?»
Sie musste wahrhaftig eingeschlafen sein. Wie war das möglich, bei der Kälte? Aber sie hatte es mollig warm, eingemummelt in Wolle und die Decke, die Nase im Mantel vergraben, und wurde erst wach, als sie die Stimmen der Männer hörte.
Faina. Bist du nicht hier, neben mir?
Doch dort war sie nicht.
«Sie ist sicher im Haus und kümmert sich um das Baby.»
«Nein, da ist sie nicht.»
Steif und mit schmerzenden Muskeln kam Mabel vom Stuhl hoch und staunte über den Schnee, der sich auf ihrer Decke türmte. Es war immer noch dunkel, die Sterne waren fort, verschwunden hinter Wolken, aus denen es tüchtig geschneit hatte. Wie viel Zeit war verstrichen? Sie ging den Männern nach, hörte Garrett rufen. «Faina? Faina?»
«Wo ist sie, Mabel?» Jacks Frage grenzte an eine Anklage.
«Sie war doch hier, neben mir. Sie kann nicht weit sein. Ist sie denn nicht im Haus?»
«Nein, ist sie nicht, das habe ich doch schon gesagt.» Jack rief in den Wald hinein: «Faina! Faina!»
Garrett kam mit einer Laterne vom Haus.
«Wo ist sie?» In seiner Stimme schwang kein Zorn mit, nur Verzweiflung. Er lief zum Fluss. «Faina! Faina!»
Zwischen den Karibufellen sah Mabel die Hochzeitsdecke, fast gänzlich unter Schnee begraben. Wie hatte sie nur so achtlos sein können? Sie hob sie auf, um den Schnee abzuklopfen, und erspähte blaue Wolle.
«Jack?»
Er trat neben sie, folgte mit den Augen ihrem Zeigefinger, fiel auf die Knie und fegte mit bloßen Händen den Schnee beiseite. Fainas blauer Mantel, bestickt mit Schneeflocken. Ihr Schal. Ihre Fäustlinge. Ihre Mokassins. Er hob eins nach dem anderen auf und schüttelte den Schnee ab.
«Oh Jack.» Da, in dem noch zugeknöpften Mantel, war Fainas weißes Nachthemd. «Was hat das zu bedeuten?»
Schweigend legte sich Jack die Kleidungsstücke über den Arm und trug sie hinein. Mabel folgte mit dem schneefeuchten Quilt. Sie legten alles auf den Tisch.
«Ich gehe Garrett holen. Kümmere du dich um das
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