Das Schneemädchen (German Edition)
Geweih mit dem blutigen Schädelsockel sah, atmete sie tief durch.
«Donnerwetter!», sagte Esther.
«Genau das hab ich auch gesagt, Ma. Stimmt doch, oder?», wandte der Junge sich an Jack. «Don-ner-wet-ter.» Seine aufgeregte, junge Stimme erschreckte Mabel fast so sehr wie der Anblick, der sich ihr bot.
«Das Geweih muss eine Spannweite von bald zwei Metern haben», sagte Garrett und posierte dahinter wie ein Großwildjäger mit seiner Trophäe.
Plötzlich fasste Jack Mabel von hinten um die Taille, schwenkte sie zu sich herum und hob sie kurz in die Höhe.
«Ich hab’s geschafft, Liebes. Ich habe einen Elch für uns!» Er küsste sie rasch und heftig auf den Hals, als sei er ein viel jüngerer Mann und sie eine jüngere Frau. Er roch nach Wild und nach Schnaps, und seine Augen blitzten vom Alkohol. Als er seine Frau wieder auf den mit Stroh bedeckten Boden stellte, war ihr ein bisschen schwindelig.
«Oh», war alles, was sie herausbrachte.
Im Stall herrschte ein Durcheinander aus Palaver und Jubel, als Jack schilderte, wie er hinter sich etwas gehört und sich umgedreht hatte, und da stand dieser Elchbulle nur wenige Schritte von seinem Feld entfernt, und er schoss ihn, und dann kam Garrett daher, und ohne ihn hätte er es nicht geschafft. Eine Flasche wurde nicht eben verstohlen zwischen den Männern und den zwei älteren Söhnen herumgereicht, und jeder hielt sie in die Höhe und rief «Prosit!», wohingegen Garrett vergeblich um einen Schluck bat.
«Jetzt noch nicht, Söhnchen», sagte Esther und nahm selbst einen Schluck, und die Männer lachten. Mabel stand still da. Esther aber hielt ihr die Flasche hin.
«Ach komm schon», sagte sie munter. «Ein Prosit auf unseren Jäger.» Da nahm Mabel den schwarzgebrannten Schnaps und hielt sich den kalten Flaschenhals an die Lippen. Allein der Dunst genügte, um sie husten zu lassen; doch sie hob die Flasche und kippte sich die eisig scharfe Flüssigkeit in den Mund, und dann hustete und hustete sie und gab die Flasche zurück, und alle lachten ausgelassen.
«Dann wird’s für dieses Jahr wohl nichts mit der Kohlenmine, was, Jack?», fragte George.
«Wohl kaum. Uns blüht wohl ein guter altmodischer Alaska-Winter – Elchfleisch und Kartoffeln, bis sie uns zu den Ohren rauskommen.»
Mabel lächelte Jack zu. Sie wusste, sie sollte sich freuen, aber der abgesägte Schädelknochen zu ihren Füßen ging ihr nicht aus dem Sinn.
Gerade als Mabels Hände vor Kälte taub wurden, beschlossen alle, zum Essen ins Haus zu gehen. Jack nahm die Laterne vom Haken an einem Balken und legte Mabel seinen Arm um die Schultern, und so stapften sie durch den Schnee. Unversehens war sie mit einem Nordlandjäger verheiratet, einem Waldmenschen, der Elche ausnahm und im Stall schwarzgebranntem Schnaps zusprach. Alles war drunter und drüber und fremd.
Die übermütige Gesellschaft begab sich ins Haus, alle redeten durcheinander und schüttelten sich den Schnee von der Kleidung. Als Jack seinen Mantel auszog, waren seine Arme mit rissig getrocknetem Blut bedeckt, auch sein Hemd und seine Hose waren beschmiert. Von den anderen achtete niemand darauf, er aber sah Mabel an und dann an sich hinunter. «Ich sollte mich vor dem Essen wohl waschen.»
Garrett trug einen Jutesack herein und stellte ihn auf die Küchenanrichte. Esther holte einen mit Adern durchzogenen, rundlichen Muskel von der Größe eines Brotlaibes daraus hervor, und Mabel erkannte in ihm das Herz des Tieres. Esther schnitt es mit einem Messer in dünne Scheiben.
«Mach eine Pfanne heiß, meine Liebe», sagte sie über die Schulter. «Wir essen gleich was davon. Es gibt nichts Besseres als frisches Elchherz.»
Ehe Mabel überlegen oder zur Tat schreiten konnte, hatte Esther schon eine gusseiserne Pfanne zum Erhitzen aufs Feuer gestellt. «Gib mir mal eine von den Zwiebeln, ja? Ich schneide sie klein und werfe sie in die Pfanne.»
Die nächste Stunde verbrachte Mabel wie im Nebel; in ihrem Kopf verschwammen der Geruch von bratendem Fleisch und der Lärm von angeregten Gesprächen. Jemand musste die gekochten Kartoffeln zerstampft haben. Jemand musste das Brot, die Möhrenscheiben auf den Tisch gestellt und ein Glas Zwiebelpaste aufgemacht haben. Ehe sie recht begriff, drängten sich schon alle um den Tisch, Garrett mit seinem Teller auf dem Schoß, und Mabel schnitt mit einem scharfen Messer ein Stück Elchherz ab und nahm ihren ersten Bissen.
«Köstlich, oder?», fragte Esther.
Mabel nickte und kaute und
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