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Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
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– indem er Erfahrungen sammelte und diese fremdartige Wildnis in sein Herz schloss – wehrhaft und nackt, wie sie war, gewaltsam und sanft, bebend in ihrer Großartigkeit.

    Die Arbeit überstieg Jacks Kräfte und Erfahrung. Er hatte Hühner und Rinderhälften zerlegt, aber das hier war nicht dasselbe. Hier lag ein kapitales, vollkommen intaktes wildes Tier mitten im Wald in seinem Blut. Es war ein guter Schuss gewesen, durch Schultern und Lungen. Jack musste den Bauch aufschneiden, um die Eingeweide herauszunehmen und die Wärme entweichen zu lassen, bevor das Fleisch verdarb, aber das war kein leichtes Unterfangen. Die Beine des Elches, von denen jedes gute hundert Pfund wog, waren im Weg. Er stemmte seine Schulter unter ein Hinterbein, um den Bauch freizulegen, aber es gab nicht nach. Er nahm einen Strick aus seinem Bündel und band ihn um das hintere Fußgelenk des Elches. Mit aller Kraft zog er das Bein hoch und zur Seite, dann befestigte er den Strick an einem Baum hinter dem Elch. Der Bauch war nun freigelegt; Jack fürchtete aber, der Strick könne reißen und das Bein ihm einen schweren Schlag auf den Hinterkopf verpassen.
    Er schärfte abermals sein Messer, aber nur, weil er nicht recht wusste, wo er anfangen sollte. Das Tageslicht war im Schwinden begriffen, deshalb stieß er das Messer in den Bauch, erinnerte sich daran, dass er den Darmsack nicht durchlöchern durfte, weil das Fleisch dann vergiftet würde, und zog das Messer ein Stückchen wieder heraus, bevor er die Bauchdecke der Länge nach aufschlitzte.
    Er steckte bis zu den Ellenbogen in Blut und Innereien, als er durch den Wald etwas herannahen hörte. Es konnte das Kind sein, doch dann fiel ihm ein, dass die Kleine sich vollkommen lautlos bewegte. Ein Pferd wieherte. Jack stand auf, streckte den Rücken und wischte das Messer an seiner Hose ab.
    Es war Garrett Benson, und er führte ein Pferd durch den Wald.
    «Hallo!», rief Jack ihm zu.
    «Ich hab Schüsse gehört. Haben Sie einen erlegt?»
    «Ja.»
    «Einen Bullen?»
    Jack nickte.
    Der Junge band das Pferd an einen Baum. Als er näher kam, machte er große Augen.
    «Donnerwetter! Das ist ein gestandener Elch.» Garrett trat an das Geweih, versuchte, mit ausgebreiteten Armen beide Enden gleichzeitig zu berühren, und schaffte es nicht.
    «Donnerwetter», wiederholte er, leiser jetzt.
    «Ist er groß, ja?»
    «Teufel, das kann man wohl sagen.» Ein Junge, der versuchte, sich wie ein Mann auszudrücken. «Zum Teufel!»
    «Ich hatte keine Ahnung. Dies ist der erste Elchbulle, den ich aus der Nähe sehe.»
    Garrett streifte seinen Handschuh ab und streckte die Hand aus. «Gratuliere! Er ist ein Prachtkerl!»
    Jack wischte etwas Blut an seinen Hosenbeinen ab und nahm die Hand des Jungen.
    «Danke, Garrett, vielen Dank. Ich muss sagen, ich hatte nicht mehr damit gerechnet.»
    «Ehrlich, Mann. Er ist ein Prachtkerl!»
    Diese Seite von Garrett kannte Jack noch nicht. Kein schmieriges Feixen mehr; das Jungengesicht strahlte.
    «Ich bin am Fluss entlanggeritten und hab Plätze zum Fallenstellen gesucht, und da hab ich Ihr Gewehr gehört», sagte Garrett. «Bum. Bum. Zwei Schüsse. Das ist immer ein gutes Zeichen. Ich dachte mir, dass Sie was erlegt haben. Aber Mannomann, dass es so ’n kolossaler Kerl ist, das hätte ich nie gedacht.»
    «Er kam mir schon ziemlich groß vor», sagte Jack.
    Ehrfürchtig still strich der Junge mit der Hand über den Geweihknochen.
    «Der ist größer als alle, die ich bisher gesehen habe», sagte er dann. «Auf alle Fälle größer als alles, was ich je geschossen habe.»
    Seine Achtung vor Jack stieg deutlich. Nicht vielen dreizehnjährigen Jungen ist es gegeben, einen Ringkampf mit dem Neid zu gewinnen.
    «Ich habe jetzt wohl einiges zu tun.»
    «Eine Menge. Aber zu zweit kriegen wir das hin.»
    «Fühle dich nicht verpflichtet, mir zur Hand zu gehen.»
    Der Junge zog ein Messer aus dem Futteral an seinem Gürtel. «Ich mach’s gern.»
    «Schön, ich weiß es zu schätzen. Vielleicht kannst du mir einfach ein paar Hinweise geben, mich anleiten. Ehrlich gesagt, ich bin damit überfordert.»
    «Ist jedenfalls ein guter Anfang, erst mal die Innereien rauszunehmen.» Damit zog der Junge das Fell zurück und spähte in den Brustkorb. «Also, sehen Sie das hier? Wenn Sie das einfach wegschneiden, flutscht alles glatt raus.»
    Sie schnitten Herz und Leber heraus, beides größer als ein Essteller, und Jack schob sie noch nass in einen Jutesack.

    Die folgenden Stunden

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