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Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
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Der Schnee war schwer und nass und tropfte vom Dach. Wasser rann über die Oberfläche des zugefrorenen Flusses. Und dann klarte es eines Nachts auf, und Kälte senkte sich wie Nebel über das Tal. Beim Erwachen fand Jack die Holzscheite im Ofen schwarz verkohlt und die Fenster innen wie außen mit einer Eisschicht bedeckt. Nachdem er das Feuer neu entfacht und noch eine Steppdecke über die schlafende Mabel gelegt hatte, machte er sich auf zur Stadt. Es war der bisher kälteste Tag des Winters, und als er die Tür des Gemischtwarenladens hinter sich geschlossen hatte, strich er sich vorsichtig über die Nase, um zu fühlen, ob sie erfroren war. «Keine Sorge», neckte ihn George, der an dem bauchigen Ofen stand. «Mabel wird dich schon nicht verlassen, falls sie dir abfällt.»
    Jack stellte sich zu ihm und rieb seine Hände vor dem warmen Ofen, damit wieder Gefühl hineinkam.
    «Das wollte ich dir schon länger sagen, Mabel trägt die Mütze praktisch immer noch jeden Tag. Das war ein sehr großzügiges Geschenk, was dein Sohn ihr da gemacht hat.»
    «Weißt du, dass das der einzige Silberfuchs ist, den er je geschossen hat? Der Junge ist vor Ungeduld beinahe geplatzt. Wochenlang hat er mich immer wieder gefragt, ob Betty nicht endlich damit fertig ist.»
    «Und sie setzt sie sogar auf, wenn sie nur schnell zum Abort läuft. Vor allem bei diesem Wetter.»
    George lachte und schlug sich auf die Kehrseite, als wäre seine Hose zu heiß geworden. «Esther wird einen Heidenspaß haben, wenn sie das hört – Mabel draußen auf dem Klo, mit einer feschen Fuchspelzmütze.»
    «Sag bloß kein Wort davon, sonst komme ich ernsthaft in Schwierigkeiten.»
    George lachte wieder.
    «Der Junge hat diesen Winter mächtig Hummeln in der Hose – ist tagelang unterwegs zu seinen Fallen, flussauf und flussab. Er hat ja Boyds alte Marderstrecke übernommen, und jetzt ist er auf die Wölfe aus, die Esther bei uns gesehen hat.»
    «Wölfe?»
    «Ein Rudel hat unten am Fluss eine Elchkuh gerissen. Meine Frau haut so schnell nichts um, aber das schon. Sie hat das ganze blutige Gemetzel mitgekriegt. Die Kuh kam in dem tiefen Schnee nicht gut vorwärts, und die Wölfe haben zugeschnappt und ihr die Eingeweide aus dem Leib gefetzt, während sie noch versucht hat zu flüchten. Ich bin mit Garrett ein paar Tage später zu der Stelle hin, und da war nichts mehr zu sehen außer den Knochen. Rippen voller Bissspuren. Sauber abgenagt, nicht mal ein Fitzelchen Knorpel übrig. So was hab ich noch nie gesehen.»
    «Wir haben sie ein paarmal bei uns in der Nähe heulen hören. Das Geräusch vergisst man nicht.»
    «Allerdings. Das kannst du laut sagen.»
    Jack beschloss, vor Mabel die Wölfe nicht zu erwähnen. Den Fehler von damals, als George ihm von dem Luchs erzählt hatte, wollte er nicht noch einmal begehen. Ein Nachbar der Bensons, der eine kleine Schar Hausenten besaß, musste eines Abends, als er sie in den Stall trieb, mit ansehen, wie ein Luchs angeflitzt kam und sich vor seiner Nase eine Ente schnappte.
    Im Lauf der folgenden Wochen machte die Wildkatze nach und nach dem Federvieh und damit der schönen Geldanlage des Farmers den Garaus. Der Luchs kam nachts und schlug jeweils ein paar Enten auf einmal, die ihm für einige Tage reichten. Als der Farmer eines Morgens den Entenstall öffnete, kam der Luchs herausgeschossen und direkt auf ihn zu. Der Mann war knapp vor einem Herzanfall gewesen. George und Jack hatten bei der Vorstellung, wie der arme Farmer rückwärts taumelte und die zu groß geratene Hauskatze an ihm vorbeizischte, leise vor sich hin gegluckst.
    Mabel hingegen hatte die Geschichte überhaupt nicht lustig gefunden. Sie weigerte sich fortan, nach Sonnenuntergang noch zum Außenabort zu gehen, aus Angst, dort könne ein wildes Tier lauern. Jack versuchte, sie zu beruhigen, stand aber dann doch so manchen Abend Wache vor der Tür des Klohäuschens.

    Eben wollte Jack mit einer Kiste Vorräte den Gemischtwarenladen verlassen, da stachen ihm die Schlittschuhe im Schaufenster ins Auge, deren Kufen im Sonnenlicht blitzten. Als Junge war er auf dem Kuhteich mit so etwas herumgeschlittert. Aus einer übermütigen Anwandlung heraus nahm er drei Paar mit nach Hause.
    Am folgenden Abend kam Faina, und alter Gewohnheit folgend machten sie Abendessen und setzten sich gemeinsam an den Tisch. Als Faina gähnte, stand Jack auf und verkündete: Holt eure Mäntel. Wir machen einen Ausflug.
    Einen Ausflug? Wohin denn?, fragte Mabel.
    Runter

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