Das schoenste Geschenk
Filzstern auswickelte, wusste sie noch genau, in welchem Jahr sie ihn für ihre Großmutter gebastelt hatte. Der Gedanke, dieses Jahr ohne sie Weihnachten feiern zu müssen, tat Sharon weh. Ohne Victor hätte sie gewiss keinen Baum aufgestellt. Sie beobachtete, wie er sorgfältig die Girlanden in den Baum hängte. Großmutter hätte Victor gemocht, dachte sie lächelnd. Und sie hätte ihm auch gefallen. Eigentlich machte es nichts, dass die beiden Menschen, die sie am meisten liebte, sich nie begegnet waren. Dadurch, dass sie sie kannte, war die Verbindung zwischen ihnen hergestellt. Wenn er mich nicht bald fragt, ob ich ihn heirate, überlegte sie, muss ich das Thema wohl zur Sprache bringen. Als sie merkte, dass er sie beobachtete, lächelte sie ihn spitzbübisch an.
»Woran denkst du?«, fragte er.
»Oh, an nichts Besonderes«, erwiderte sie arglos. Sie trat einen Schritt zurück, um einen prüfenden Blick auf den Baum zu werfen. »Er ist wirklich perfekt. Das wusste ich doch gleich«, meinte sie zufrieden. Sie packte den silbernen Stern aus, der für die Spitze des Baumes bestimmt war, und reichte ihn Victor.
Der betrachtete skeptisch den Tannenbaum. »Ich kann den Stern nicht da oben anbringen, ohne die halbe Dekoration dabei herunterzureißen. Wir brauchen eine Leiter.«
»Oh nein, das geht auch so. Nimm mich einfach auf die Schultern.«
»Im oberen Stockwerk steht eine Trittleiter«, wandte er ein.
»Oh, sei doch nicht so umständlich.« Behände kletterte sie auf seinen Rücken und schlang die Beine um seine Taille, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Jetzt kann ich die Spitze ganz leicht erreichen«, versicherte sie und fing an, sich auf seine Schultern hochzuarbeiten. »Siehst du«, sagte sie triumphierend. »Gib mir den Stern, damit ich ihn feststecken kann.«
Victor gab ihn ihr, und Sharon befestigte den Christbaumschmuck.
»So, das hätten wir.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und begutachtete ihr Werk. »Tritt doch bitte einen Schritt zurück, damit ich einen Eindruck von dem Ganzen bekommen kann.« Victor tat, wie ihm geheißen.
Sharon war begeistert. Sie seufzte zufrieden und küsste ihn überschwänglich auf den Kopf. »Ist er nicht wunderschön? Riechst du den Tannenduft?«
»Er wird noch besser aussehen, wenn der Raum dunkel ist.« Damit ging er zum Lichtschalter und knipste die Deckenbeleuchtung aus. In der Dunkelheit schienen die bunten Lichter am Christbaum zum Leben zu erwachen. Sie schimmerten hell vor dem Lametta und den Girlanden und verliehen den dunklen Zweigen der Tanne einen warmen Lichtschein.
»Oh ja«, sagte Sharon fast andächtig. »Es ist wirklich perfekt.«
»Nicht ganz«, wandte Victor ein. Geschickt zog er Sharon von seinen Schultern herunter und in seine Arme. »Jetzt ist es perfekt«, sagte er, während er sie auf den Teppich legte.
Lächelnd schaute sie zu ihm auf. »Das finde ich auch«, sagte sie leise.
Erwartungsvoll zogen sie sich gegenseitig aus. Und als sie nackt nebeneinanderlagen, nahm ihre Ungeduld noch zu. Wieder einmal staunte Sharon über seine festen gespannten Muskeln, während Victor nicht genug bekommen konnte von dem Duft und dem Geschmack ihrer Haut. Ebenso wie sie vorhin den kalten Schnee nicht gespürt hatten, so vergaßen sie jetzt den Duft der Tannennadeln und die bunten Lichter des Baumes. Sie waren zusammen. Das war das Einzige, was zählte.
13. K APITEL
Es fiel Sharon am nächsten Tag nicht leicht, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Obwohl sie ziemlich viel verkaufte, war sie den ganzen Vormittag über zerstreut. Sie bemerkte nicht einmal, dass Pat das Preisschild von der Esszimmergarnitur genommen und die Stühle und den Tisch mit kleinen Schildchen versehen hatte, auf denen »Verkauft« stand. Ihre Gedanken drehten sich ausschließlich um Victor.
Ein paar Mal ertappte sich Sharon, wie sie versonnen den Weihnachtsbaum anschaute und an die vergangene Nacht dachte. Sie hatte nicht geahnt, dass Liebe so wunderbar sein konnte. Jedes Mal war sie neu und aufregend, jedes Mal ein Abenteuer. Trotzdem hatte sie das Gefühl, Victor schon seit Jahren zu kennen. Sie musste ihn nur anschauen, um zu wissen, dass ihre Beziehung von Dauer sein würde. Wieder blickte sie zu dem Christbaum hinüber. Plötzlich erkannte sie, dass sie noch nie in ihrem Leben so glücklich gewesen war.
»Miss!« Die Kundin, die schon seit einer Weile interessiert den Stuhl mit dem neuen Sitzgeflecht betrachtete, rief sie energisch in die Wirklichkeit
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