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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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war,
las er ihr eins seiner Gedichte vor.
    Das
kleine Mädchen saß auf dem Boden
    vor
einem Scheiterhaufen aus Blumenköpfen
    wie
Winterflammen sahen sie aus.
    Hilf
mir, ich bin müde.
    Bis zum
Sonnenuntergang rupften wir Rosen
    in dem
viel zu süßen Duft
    betäubend
wie Rauschgift.
    Wer
wird all den Grappa trinken?
    fragte
ich sie.
    Du,
wenn du wiederkommst.
    Ich
wusste nicht, ob ich den Rückweg finden würde.
    Sie
winkte mir vom Fenster aus
    das
Gesicht wie zerflossene Kreide
    die
Hände blutig von Blüten.
    Sebina gefielen die
Gedichte ihres Bruders, allerdings fragte sie zu viel nach.
    Er sagte: »Gedichte
lassen sich nicht erklären, wenn sie an die richtige Stelle kommen, spürst du
sie, dann kratzen sie in dir.«
    »Wo ist denn die
richtige Stelle?«
    »Such sie.«
    Sebina verzog den
Mund und sah ihn mit ihrer Schurkenmiene skeptisch an. Sie betastete ihren
Bauch, ihre Beine.
    »Geht auch ein Fuß?«
    »Das ist ein bisschen
tief.«
    »Ich merke, dass es
mich da kratzt, dein Gedicht.«
    Gojko setzte sie sich
auf die Schultern, ging die Treppe zu seiner alten Wohnung hoch und setzte sie
bei Mirna ab.
    Wir gingen in ein
Restaurant, um eine mit allem gefüllte Pita zu essen, mit Fleisch, mit
Kartoffeln, mit Kürbis. Sebina begann zu gähnen, abwesende Augen voller Wasser,
die Schläfrigkeit eines Kindes. Sie ningelte nicht. Sie beugte einen Arm auf
dem Tisch und schlief auf diesem Arm ein. Wir blieben noch, um uns zu
unterhalten. Diego zerbröselte eine von Gojkos Zigaretten, öffnete seine kleine
Dose und baute einen Joint. Gojko sah zu und zog ihn auf.
    »Seit wann nimmst du
denn Drogen?«
    »Das ist keine Droge,
das ist was zum Rauchen.«
    »Na, dann rauchen
wir.«
    Gojko sog sich an dem
Joint fest und sabberte ihn nass.
    »Aber das Kind«,
sagte ich.
    »Das Kind schläft«,
antwortete Gojko.
    Die beiden rauchten,
ich kraulte Sebinas Nacken. Irgendwann beugte ich mich hinunter, und meine Nase
versank in dieser Mulde aus Fleisch. Ich fand den Duft nach Milch und Wald
wieder, noch unversehrt nach all den Jahren. Und er schien mir der Duft der
Zukunft zu sein … Da war sie vor uns, wie damals. Ich betrachtete unsere Körper
im Spiegel, der die Wand verkleidete, und hatte das Gefühl, dass uns die Zeit
nichts genommen hatte. Diego weinte, reglos. Vielleicht bemerkte er die Tränen
gar nicht, die still wie Schweiß rannen. Ich berührte ihn an der Schulter.
    »Mir geht’s gut«,
sagte er. »Ich bin bei Gott.«
    Wir gingen im Dunkeln
nach Hause, durch jene freundlichen Straßen. Sebina schlief am Hals ihres
Bruders, die kampflosen Arme fingen das Licht der Laternen ein.
    Es war hundekalt. Ich
griff nach Sebinas Händen, sie waren eisig. Schnell strebten wir zum Hotel, zu
dem roten Portal, nicht größer als eine Haustür. Wir nahmen unseren Schlüssel
in Empfang und gingen hoch. Gojko hatte keine Lust, sich von uns zu trennen,
und auch wir wollten uns nicht von ihm trennen. Es war ihm gelungen, uns ein
Zimmer zu besorgen, das größer war als die anderen, mit einem Dielenboden und
einem großen Wollteppich. Er hatte auch das Bett ausprobiert, er sagte: »Ich
habe ein Nickerchen gemacht.« Tatsächlich war in der Mitte eine kleine Mulde
und die Tagesdecke knittrig.
    »Schlaft ihr zwei
noch zusammen?«
    Wir hatten gerade
diese deprimierende Reise hinter uns, und die Kälte hatte unsere Weichlichkeit
nicht weggeputzt.
    »Heute sind wir
todmüde.«
    »Gerade wenn man
todmüde ist, liebt es sich am besten, wenn der Körper leer ist, dann fliegt
man.«
    Später schaltete
Gojko den Fernseher ein. Karadžić
redete, mit Föhnfrisur und rosa Puppenschminke, es war ein langes, affektiertes
Interview. Er sprach über seine Arbeit als Psychiater und als Dichter, neben
seinem Gesicht wurden ein paar Verse eingeblendet. Gojko las sie und lachte
höhnisch auf.
    »Dieser
montenegrinische Psychopath!«
    Er kratzte sich am
Kopf und am Arm, als hätte ihn ein grässlicher Juckreiz gepackt.
    »Wie kann man bloß
auf so ein Arschloch reinfallen?«
    Diego hatte sich aufs
Bett geworfen.
    »Gerade vor den
Arschlöchern sollte man Angst haben.«
    Diego schließt die
Augen, ein Arm ausgestreckt neben Sebina, die nicht aufgewacht ist, sie liegt
noch genauso auf dem Bett, wie sie hingelegt wurde.
    »Ziehst du dich denn
nicht aus?« Doch er ist schon eingeschlafen.
    Gojko zündet sich
eine Zigarette an. Ich sage ihm, er soll sich ans Fenster stellen, und er
raucht dort in den Spalt.
    Ich sehe auf die Uhr,
es ist fast drei.
    »Was habt ihr

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