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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Mut, es mir zu
sagen.
    »Klar, lade sie ein.«
    Er ging los und
kehrte gleich wieder um. »Ist ja auch egal.«
    »Warum?«
    »Na, was soll ich
denn sagen?«
    »Was dir gerade
einfällt.«
    Er rappelt sich
erneut auf und steuert auf die Theke zu, wo Dinka Eisstückchen in Gläser füllt.
So sehe ich zum ersten Mal, wie er sich einer Frau nähert. Er ist ein
anziehender Junge, trotz seiner Schüchternheit und der langen Arme. Um sich zu
entspannen, trommelt er mit den Händen gegen seine Jeans, als er auf sie
zugeht, er setzt sich, schaut mit seinen tiefblauen Augen auf und lächelt.
    Dann kommt er zurück
und setzt sich zu mir.
    »Und? Was hat sie
gesagt?«
    Er hat sich eine
Portion bosnische Kartoffelchips von der Theke geschnappt und knabbert sie.
»Ja, sieht so aus, als würde sie mitkommen.«
    Dinka ist an diesem
Morgen dünn und sehr groß, hoch aufrankend auf Sandalen mit Keilabsätzen, dazu
enge Jeans und ein kleiner Silberring im Bauchnabel. Pietro erfasst dieses
Piercing wie im Flug, es glänzt mitten auf dem blassen Streifen Bauch, der ihm
gefallen soll und der ihn einschüchtert.
    Er sieht woandershin
und fängt an herumzublödeln. Er zeigt ihr das Handtuch, das er dabeihat, eins
aus dem Hotel. Dinka lacht, sagt, das dürfe man nicht, also versteckt Pietro es
unter seinem T-Shirt und schlägt mit den Händen gegen den Frotteebauch, wieder
lachen sie.
    Gojko erscheint in
Jackett und Hemd wie am Abend zuvor, doch mit Flipflops an den Füßen. Wir
trinken in der Bar gegenüber vom Hotel einen Kaffee, einen italienischen
Espresso. Neben uns sitzt ein Mann und liest in einem Buch, das auf dem Tresen
liegt, seine Haare sind fast weiß und lang wie auch sein Bart. Er sieht aus wie
Karadžić, als man ihn eingesperrt hatte, als
Heiliger verkleidet, er hat das gleiche weiße Gewand, ganz wie ein indischer
Guru, und den gleichen lammfrommen Blick. Plötzlich muss ich daran denken, wie
viele von diesen Leuten wohl noch frei herumlaufen, Mörder, die seelenruhig
durch die Gegend spazieren wie Karadžić,
der ins Fußballstadion ging und wieder als Arzt arbeitete. Ich frage Gojko, was
er empfunden hat, als man ihn verhaftete.
    Er drückt seine
Zigarette aus, quetscht auf dem Stummel im Aschenbecher herum, bis er sich die
Finger verbrennt. Sagt, Karadžić sei nicht verhaftet, sondern verkauft worden. Sagt, er habe überhaupt nichts
empfunden.
    Ich frage ihn, ob die
Rutschen im Aquapark sehr hoch seien, ob sie sicher seien.
    Sie steigen ins Auto
und schlagen die Türen zu.
    »Wann kommt ihr
wieder?«
    »Wenn sie schließen.«
    Ich gehe ins Zimmer
hoch und packe einen kleinen Rucksack. Ich möchte die Hände frei haben, möchte
wandern.
    Die Alten auf dem
Platz der Schachspieler sind schon da, zusammen mit den Vögeln. Ein neues
Gefecht beginnt. Die Figuren sind schon angetreten. Ich betrachte die beiden
Fronten, die schwarze und die weiße.
    Ich komme an dem
Rundbau der Markthalle vorbei. Gehe aufmerksamer und achte nur auf meine
Schritte. Ich bleibe stehen. Entdecke ein Bankgebäude, das es hier früher nicht
gegeben hat, vor seinen Fenstern parkt ein weißes Auto mit einer kleinen,
blauen Aufschrift: HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG . Ich schüttle den Kopf und muss
lächeln. Von diesem Schriftsteller habe ich ein Buch im Rucksack.
    Die Musikschule ist
ein Stück weiter. Ein verwinkeltes Haus an einer steilen Straße. Sie sieht noch
so aus wie damals, nur der Putz ist erneuert worden, blassgrau, wie Himmel.
Kein Mensch nimmt Notiz von mir. Ich gehe ins erste Stockwerk hinauf. Es riecht
muffig, nach Körpern, die sich in kleinen Räumen drängen, so, wie es in jeder
Schule riecht. Nach Orten, wo man wächst, wo man schwitzt. Ich gehe den Flur
entlang, auf einem beigefarbenen, mit Messingstreifen eingefassten
Teppichboden. Darunter wackelt ein morscher Fußboden, den man nach dem Krieg
vielleicht einfach überdeckt hat. Notenläufe und Akkorde regnen auf mich
nieder, während ich weiter hinaufsteige, eine Geige übt, und ein Kontrabass.
Ich lasse mich von diesem Ort der Beharrlichkeit und der Einsamkeit aufsaugen.
Dem Ort der Hände, der Atemstöße, der Verrücktheit, dem Ort einer alten,
exzentrischen Lehrerin, eines jungen autistischen Talents. Gepolsterte,
lederbezogene Türen … FLAUTA,
GITARA, KLAVIR, VIOLA … Ich stoße eine Tür auf, zwei junge Gesichter und eine über ein Pianola
gebeugte Lehrerin, ätherisch wie ein soeben verlöschendes Licht. Dann eine
Kaffeemaschine.
    Ich frage die
Pförtnerin, ob ich meinen

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