Das schönste Wort der Welt
der Reihe, hält ihr Instrument, eine Trompete,
fest, als wäre es ihr Herz. Sie trägt ein Chenillekleid, das sich an ihre
mageren Hüften und an ihren Busen schmiegt, der trotz des Schwarz auffällt. Im
Nu verschlinge ich jedes Detail, wie ein Mauerblümchen, das neugierig einen
schöneren Menschen beäugt. Ich fasse sie scharf ins Auge, um einen Fehler an
ihr zu entdecken. Sie hebt das Kinn, ich sitze zu weit entfernt und kann ihre
Gesichtszüge nicht gut erkennen, ich bräuchte eines dieser kleinen Ferngläser,
wie sie die Damen in der Oper benutzen. Ich sehe den verschwommenen Fleck ihres
Gesichts, den Umriss der Ausdruckskraft. Von Geigen umgeben beginnt sie zu
spielen. Sie leert ihre Wangen, presst die Lippen zusammen, beugt sich über die
Trompete und hebt sie der ungestümen Musik folgend hoch. Ich weiß nicht, ob sie
gut ist, ich kenne mich da nicht aus, es interessiert mich auch nicht. Sie
spielt mit geschlossenen Augen und bewegt sich etwas zu viel. Sie schwenkt den
Kopf, die roten Haare, die in ungenaue Strähnen geschnitten sind. Sie sieht aus
wie ein Vogel mit zu vielen Flügeln.
Es ist das Konzert
für Klavier, Trompete und Streichorchester von Schostakowitsch. Die Musik
verändert sich, wird drängender, dunkler. Die Geigen bestürzen mit ihrem
Wimmern schmerzvoller Saiten, die Trompete setzt stoßweise ein, das Mädchen
scheint jetzt eine Durstige zu sein. Ihre Wangen füllen sich und sinken ein,
sie leeren sich langsam. Ihre Finger auf den Ventilen sind Soldaten auf einem
Schlachtfeld, sie geraten aneinander, ziehen sich zurück. Auch der hyperblonde
Junge am Klavier scheint verrückt geworden zu sein, er läuft von einer Seite zur
anderen, wobei er seinen ganzen Körper hinter den Händen herzieht, er schlägt
hin und her wie ein sterbender Nachtfalter … Die Trompete ist jetzt der Schrei
einer Eule, die in der Nacht auftaucht. Die Brust des Mädchens hebt sich und
senkt sich dann verletzt, die roten Haare sind ein blutiger Schweif. Niemand
hat den Mut, sich zu rühren, alle sind hingerissen. Draußen hat es keinen
Augenblick aufgehört zu regnen, durch die Fensterscheiben ist nichts zu
erkennen, wir sind in einem Kerker aus Wasser eingesperrt, und die Musik
scheint die Gefangene dieses unaufhörlich fallenden Wassers zu sein. Es ist
heiß, ich fächle mir Luft zu, die Frau neben mir weint. Einsame Tränen laufen
ihr über das reglose Gesicht. Alle wirken wie Heimkehrer aus einem großen, noch
bevorstehenden Schmerz, den die Musik vorwegnimmt.
Ich greife nach
Diegos Hand, er hält meine, ohne sich dessen bewusst zu sein, so wie man einen
abgenutzten Handschuh hält. An den vergangenen Abenden haben wir versucht,
miteinander zu schlafen, wir rückten zusammen, ohne weiterzumachen. Wir lachten,
so was passiert gescheiterten, erledigten Liebespaaren nun mal. Früher war ich
sein Mädchen, jetzt zieht er mit seiner Kamera los, er hat auf diese Art Sex,
mit dem, was sich ihm in der Welt bietet, wie ein Priester. Danach kehrt er zu
seinem Hausdrachen zurück.
Das Mädchen spielt
und bewegt sich fest mit der Trompete verschmolzen, sie geht darin auf. Wie
eine Schauspielerin, die Abend für Abend auf der Bühne stirbt, rappelt sie sich
dann wieder auf und lächelt, während sie einen kleinen Marsch hinfurzt.
Ich sehe Diego an, er
hat die Augen geschlossen. Das Konzert ist vorbei.
Die Frau neben mir
steht als Erste auf, mit rotem Gesicht und beifallklatschenden Händen. Die
Trompetenspielerin geht zu den anderen, sie ist so groß wie die Jungen, sie
überkreuzt die Beine und macht eine übertriebene Verbeugung. Die Gruppen, die
vorher aufgetreten sind, kommen herein und drängen sich auf dem Podest, jetzt
ist das Konzert ein einziges Spektakel. Der Dirigent wirft seinen Stab in die
Luft, und alle anderen werfen auch etwas hoch, einen Geigenbogen oder eine
Partitur, wie Studenten nach dem Examen ihre schwarzen Hüte. Diego hat die
Augen geöffnet, er steht nicht auf und applaudiert langsam.
»Ich bin eingeschlafen«,
sagt er.
»Die da ist Gojkos
Freundin.«
Diego glaubt, ich
meine die rundliche Geigerin mit dem Zopf, der ihr über den Kopf läuft wie ein
Hahnenkamm. Ich sage nein, die mit den roten Haaren, die den blonden Klavierspieler umarmt . Diego mustert sie, ihre Haare, ihre
schwarzen Lippen.
»Was ist sie, ein
Punk?«
Gojko steht auf und
lässt einen Pfiff ertönen, der sich durch einen ganzen Wald schreddern könnte.
»Großartig, oder?
Erst reißen sie dir die Eingeweide raus und tanzen
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