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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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CeKa trafen und sich nachts amüsierten, wenn sie
unter Titos alten Statuen wie U2 brüllten I wanna run … I wanna tear down the walls
that hold me inside .
Gojko wohnte im obersten Stock in einer dieser chaotischen Wohngemeinschaften,
in die Jugendliche für eine Weile ziehen, bevor sie ins richtige Leben gehen,
in einer Art kleinen Kommune. Er war mit seinen fünfunddreißig Jahren der
älteste Mitbewohner. Trotzdem passte dieses offene Haus zu ihm. Wer hier vorbeikommt und Licht in den
Fenstern sieht, kommt herauf, wenn ihm danach ist .
    Er öffnete uns die
Tür, und eine schwere Woge aus Rauch und Gewürzduft schlug uns entgegen. Am
Fenster spielte ein Junge Saxophon, er beugte sich mit geblähten Wangen und geschlossenen
Augen über die Tasten, und sein Gesicht spiegelte sich in den dünnen Scheiben,
die, wie früher üblich, mundgeblasen und handgeschnitten waren und sich wie
Wasser zu bewegen schienen.
    Wir hatten damit
gerechnet, eine deprimierte Gesellschaft anzutreffen, Leute, die wegen des
näherrückenden Krieges etwas aus der Bahn geworfen waren, doch stattdessen gab
es Musik, Plaudereien und einige Mädchen, die sich in die Küche zurückgezogen
hatten, um in einer Suppe zu rühren.
    Wir kamen fast jeden
Abend in diese Wohnung hoch oben in der Luft, in dieses Serail in der Altstadt.
Und vielleicht fanden wir dort das, was uns fehlte, die menschliche Wärme
junger Gesichter, die uns anlächelten, und Zeit, ja, Zeit, die alte bosnische Sitte,
das Leben anzuhalten, um zu reden, um zu verweilen. Wir fanden diese Zeit
wieder, die sich ausdehnte und dem Durchatmen diente, diesem Bedürfnis von
Körper und Geist. Wir trafen Mladjo, den Maler wieder, der inzwischen Körper
jeden Alters mit unvermischten Farben beschmierte, sie in Leinen wickelte und
diese modernen Leichentücher in einer Fabrikhalle in Grbavica ausstellte. Wir
trafen Zoran wieder, den Anwalt mit dem Narbengesicht, und auch Dragana, die
zusammen mit ihrem Freund Bojan am Theater spielte.
    Ana traf ich ein paar
Abende später, und auch sie hatte ihr Lächeln nicht eingebüßt. Sie lehnte an
einer Tür, mit einem leeren Glas in der Hand und mit einem engen, schwarzen
Pullover über dem üppigen Busen. Ich betrachtete ihren Hals, über den die
Schatten der Vorbeikommenden strichen. Ich sah sie noch halbnackt auf der Insel
Korčula vor mir, den Bauch unter dem
Maulbeerbaum hingestreckt. Als wir miteinander sprachen, fiel mir auf, dass sie
schwankte, sie neigte sich langsam vor und kam langsam wieder zurück, als
stünde sie starr auf einer Schwelle und könnte sich nicht entschließen
einzutreten. Ich warf einen Blick in die Runde und schauderte. All die jungen
Menschen, die hier plauderten und so lebhaft wirkten, sie alle standen starr
auf derselben Schwelle.
    »Wie schafft ihr es,
keine Angst zu haben?«, fragte ich sie.
    »Wir bleiben
zusammen, zusammenzubleiben ist wichtig.«
    Ich sah noch einmal
zu dem jungen Saxophonspieler, der sich über sein Instrument beugte wie über
einen geliebten Körper, wie zu einem letzten Liebesspiel.

Pietro dreht sich im Bett um
    Pietro dreht sich im
Bett um und zieht sich das Kissen über den Kopf, das Licht stört ihn.
    »Steh auf, es ist
schon spät.«
    »Regnet es?«, fragt
er mich von unten herauf.
    »Nein.«
    Er fährt schlagartig
hoch: »Ist nicht wahr!«
    Er geht zum Fenster
und betrachtet an die Scheibe gepresst die schemenhafte, unter dem dunstigen
Himmel erstickte Sonne.
    Gojko will an diesem
Morgen mit ihm in den Aquapark fahren, dem von dem Werbeplakat in der
Tito-Allee. Pietro öffnet den Schrank, dann kippt er seine Tasche auf dem Bett
aus. Er schließt sich im Bad ein. Ich höre das Wasser im Leerlauf.
    »Dreh den Wasserhahn
zu, die ganze Welt ist am Verdursten!«
    Das ist einer meiner
Standardsätze. Auch bei Giuliano. Ich ertrage dieses sinnlos fließende Wasser
nicht, wenn er sich rasiert. Manche Dinge gehören zu mir wie mein Schatten. So
auch die tote Frau auf dem Straßenpflaster neben der Bierfabrik, wo die Menschen
nach Wasser anstanden, die Beine angewinkelt wie im Schlaf, der Kopf auf dem
pflaumendunklen Fleck ihres Blutes, daneben der Kanister, den sie nicht mehr
füllen konnte.
    Pietro kommt mit
seinem Surfanzug aus dem Bad, einem dieser schnelltrocknenden. Dinka, das
Mädchen von der Hotelbar, wird die beiden begleiten. Er hat sie gestern Abend
gefragt.
    »Was meinst du, Ma,
soll ich sie einladen?«
    Er schlug sich schon
eine Weile mit diesem Gedanken herum, hatte aber nicht den

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