Das schönste Wort der Welt
bringen sie weg.
»Wohin bringen sie
dich denn?«, zieht Gojko sie auf.
»An einen Ort, an den
du nie kommen wirst.«
Er zündet sich eine
Zigarette an und wirft die Schachtel auf den Tisch. Er lacht auf und knurrt,
die von Nirvana seien doch lukavi ,
Klarkommer. »Das sind milliardenschwere Scheißnihilisten!«
Er steht auf und
sagt, dass er pinkeln geht. Er tut es, damit ich mit Aska allein sein kann.
Unten auf dem T-Shirt
steht ein englischer Spruch, ein Zitat von Cobain, NIEMAND WIRD JE MEINE ABSICHTEN ERFAHREN .
Ich will raus aus
dieser Bar.
»Und wie sehen deine
Absichten aus?«, frage ich sie Knall auf Fall.
Sie sagt, sie wolle
einfach weg aus ihrem Dorf. Sie komme aus Sokolac, dreißig Kilometer von
Sarajevo entfernt, und halte sich mit Tanzmusik in Klubs und mit
Privatunterricht über Wasser. Sie habe nur noch ein paar Minuten Zeit, sie
müsse los, sie sei auf dem Weg zu einem Juwelierssohn in der Baščaršija.
Sie bläht die Wangen
auf, um mir zu zeigen, wie dick das Kind ist, es könne nicht einmal die Finger
auf den Ventilen spreizen. Sie sagt, bei den Reichen von Sarajevo sei es Mode
geworden, ihren Kindern Musikunterricht erteilen zu lassen.
Sie sagt, sie wolle
so nicht alt werden, sie sei jung.
Sie lächelt, sagt,
einer der drei Typen von Nirvana sei Kroate, und wenn er es geschafft habe,
schaffe sie es auch. Nach London, nach Amsterdam, eine Band gründen, dafür
brauche sie das Geld.
»Was hat dir Gojko
erzählt?«
»Dass ihr eine roda sucht … einen Storch, eine Leihmutter.«
»Ja.«
Auf dem Teller ist
neben ein paar Zuckergusskrümeln noch etwas Sahne übrig, Aska sammelt die Reste
mit dem Teelöffel auf.
»Ich bin bereit«,
sagt sie.
Sie sieht sich um,
stemmt eine Faust unters Kinn und kommt mit ihren grünen Augen dicht an mich
heran, ich spüre den Geruch ihres Mundes.
Sie ist unverfroren
und bürokratisch. Möchte in D-Mark bezahlt werden und in bar. Sie zieht sich
ihren Pullover an, ihr Kopf verschwindet und taucht wieder auf.
»Machst du das nur
für Geld?«
Sie greift nach ihrem
Trompetenkasten.
Sie lächelt, sagt,
sie sage gern die Wahrheit, ich könne ihr vertrauen, weil sie keine Angst vor
der Wahrheit habe.
»Was willst du
hören?« Sie fasst sich ans Ohrläppchen, an einen dieser Kitschohrringe. »Dass
ich es aus Nächstenliebe tue?«
Sie erzählt mir, dass
die Musik ihr Ein und Alles sei, dass sie ihre Kindheit auf dem Land damit
verbracht habe, Kaninchenställe auszumisten, Maiskolben auszukörnen und auf
ihnen zu spielen wie auf einer Flöte, wie auf Ventiltasten. Viele Jahre war
Sarajevo für sie wie San Francisco, doch jetzt schneidet es ihr in den Rücken
wie ein zu enger BH . Sie sagt, sie wolle nie heiraten,
nie eine Familie gründen.
Ich frage sie, ob sie
Muslimin sei.
Sie verzieht das
Gesicht, sagt, sie setze nie einen Fuß in eine Moschee, auch wenn sie manchmal
den Koran lese.
»Und was sagt der
Koran, darfst du deine Gebärmutter verleihen?«
»Der Koran sagt, man
soll anderen helfen.«
Ihr gefalle die
Vorstellung, ihren Bauch einer verstümmelten Frau zu leihen. Das sagt sie
wirklich, verstümmelt.
»Jeder von uns muss
was zurückgeben …«
Sie steht auf,
streift sich einen Plastikumhang gegen den Wind auf dem Motorrad über. Sie
zuckt mit den Schultern. Dann bittet sie mich, ihr schnell Bescheid zu sagen,
sie müsse ihre Zukunft planen.
Diego schweigt. Ich
betrachte seinen hohlen Nacken, seinen hängengelassenen Kopf auf den Schultern.
Er ist todmüde, seine Hosen sind dreckig. Er war am jüdischen Friedhof und hat
die Stadt von oben fotografiert, unten war Nebel. Die Minarette und die Dächer
der Häuser tauchten wie aus einer Schüssel Molke auf. Ich habe ihm von Aska
erzählt. Er sagte nur Ich weiß nicht , dann sortierte er seine Filme, nummerierte sie und steckte sie in
ihre schwarzen Dosen zurück.
Wir fanden einen Arzt
im Umland, an der Fernstraße nach Hadžicí.
Gojko holte uns mit dem Auto ab. Aska saß vorn, mit den roten, von wilden
Schnitten ruinierten Haaren, den schwarz lackierten Fingernägeln und einer
Sonnenbrille so groß wie die von Kurt Cobain. Mit meinem mehr als knielangen
Rock, meiner Sichtbrille und meinem Haarknoten sah ich aus wie ihre Mutter.
Der Arzt stellte
nicht viele Fragen, er war untersetzt und hatte das leicht stumpfsinnige
Gesicht mancher Bauern. Er hatte einen kleinen Tick, ständig sog er an dem
Zwischenraum zwischen seinen Schneidezähnen. Ich erinnere mich nur noch an diesen
Mund, den er wie ein
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