Das schönste Wort der Welt
tanzt weiter, weil es das Einzige ist, was es
kann … Und tanzend weicht es zurück. Der Wolf steht immer noch da, er bräuchte
nur die Pfote auszustrecken, um es zu packen, doch das kleine Lamm tanzt so
schön, dass er sich noch ein Weilchen daran ergötzen will. Gewiss würden ihm
noch andere Lämmchen über den Weg laufen, doch nie wieder würde ihm eines
begegnen, das so tanzen kann.«
»Und wie geht es aus?
Frisst der Wolf es auf, oder lässt er es laufen?«
Ich mache ihm einen
Kräutersud für die Augen und drücke ihm den Mull auf die Lider.
In der Dunkelheit
seiner verbundenen Augen nimmt er meine Hand.
»Was ist denn los?«,
fragt er.
»Gojko hat gesagt,
Aska wäre bereit, uns zu helfen.«
Ich musterte das
unbewegliche Gesicht des alten Jovan, er saß versunken in seinem abgewetzten,
grünen Samtsessel, auf dessen Rückenlehne ein besticktes, weißes Tüchlein lag,
das Velida fast täglich wechselte. Er hörte sehr schlecht und sah fern, ohne sich
noch die Mühe zu machen, auf den Ton zu achten. Der Fernseher war ein altes
Schwarz-Weiß-Modell mit einer Zimmerantenne, deren Empfang zu wünschen übrig
ließ. Die fehlenden Farben und der blasse, körnige Schleier, der den Bildschirm
überzog, erinnerten an Archivmaterial, an alte Filmstreifen aus dem Zweiten
Weltkrieg. Die serbische Armee hatte die natürliche Grenze der Drina
überschritten und rückte in Bosnien vor. Mir fiel die lange Nacht des ersten
Menschen auf dem Mond wieder ein, dieses Signal aus weiten Fernen. Ich war
damals noch klein und saß neben meinem Vater, der auf den Bildschirm starrte,
als sähe er ein ultimatives Stück Zukunft, etwas, das er nie wieder sehen
würde. Plötzlich fühlte er sich als Teil einer einzigartigen Generation von
Menschen, die es nach den Flügeln des Ikarus, nach Leonardos Flugmaschinen und
nach dem ersten Flyer der Gebrüder Wright nun endgültig
geschafft hatten, die Gravitationskraft der Erde zu überwinden und sich auf
jenem durchscheinenden, fernen Auge niederzulassen. Der weiße Taucher, der sich
auf der bleigrauen Kruste so unsicher bewegte wie ein Neugeborenes, war er
selbst.
Er glaubte an die
Zukunft, mein Vater, genauso wie Sebina. Er glaubte, dass jeder
Normalsterbliche anfangen würde, mit Volldampf durch den Himmel zu rauschen.
Auf dem Bildschirm
rückten unheimliche Panzer vor, und das einzige Signal, das nun ankam, war das
gestörte in dem alten Fernseher. Velida stand auf, um die beiden Amseln aus dem
weißen Käfig in der Küche zu lassen. Sie wollten nicht weg, flogen durch die
Zimmer und überquerten höchstens die Straße, um sich auf den Balkon des Hauses
gegenüber zu setzen. Wenn Velida sie rief, kamen sie zahm wie die Hühner
zurück. Mit einem Anflug von Ärger schaltete sie den Fernseher aus, fast aus einem
kleinen, persönlichen Trotz heraus, sie kramte in einem Regal voller
Schallplatten und ließ Jazz auf den Teller ihres alten Plattenspielers gleiten.
Dann kochte sie mit akribischer Sorgfalt Kaffee, ohne auch nur einen Krümel des
Pulvers zu verschütten.
Ich betrachte die
Stille dieser Räume und sauge den Duft von Dingen ein, die schon seit vielen
Jahren hier sind, die sich angesammelt haben: Kunstbände, wissenschaftliche
Werke, das bescheidene Geschirr auf den Küchenregalen, die Jugendfotos von Velida
und Jovan, die Wanduhr. Es sieht aus, als sollte sich nichts aus dieser Wohnung
jemals fortbewegen. Ein kleines, vertrautes Labyrinth, in dem die Amseln
herumfliegen und sich neben die Katze, die sie keines Blickes würdigt, auf das
Sofa setzen. »Es ist doch nicht normal, dass sich eine Katze nicht auf einen Vogel
stürzt«, sage ich zu Velida. Sie hebt die Schöpfkelle: »Ich habe ihnen
beigebracht, sich zu respektieren.«
Wir sind in der
Küche, ich helfe ihr bei der Zubereitung gefüllter Weinblätter. Wir haben Reis
unter das Fleisch gemischt, breiten die Weinblätter aus, füllen sie und rollen
sie zusammen. Velidas Bewegungen erinnern an eine ewige Zeit, an Röllchen, die
immer und immer gekocht werden und hungrige Gaumen zufriedenstellen. Es
entspannt mich, mit dieser alten Biologin in der Küche zu stehen, die einfach
den Fernseher ausstellt und das Düstere der Welt vertreibt, während sie eine
Zwiebel zerkleinert.
»Warum habt ihr keine
Kinder, du und Jovan?«
Ihre Augen sind
gerötet von der Zwiebel, doch sie lächelt.
»Wir wollten keine.
Jovan war zu sehr von seiner Forschung in Anspruch genommen, und ich war zu
sehr von Jovan in Anspruch genommen. So war
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