Das schönste Wort der Welt
Möglichkeit. Wie
der unbekannte Aufständische vom Platz des Himmlischen Friedens. Sie war sich sicher,
dass sie sie aufhalten würde.
Sie schaut auf die
Miljacka, auf ihr weiches Wasser.
»Es gibt zu viele
Brücken in Sarajevo.«
Im wehenden Wind
öffnet sie die Arme und steht da wie ein Engel mit ausgebreiteten Flügeln, mit
ihren roten Haaren, den hinfälligen Sarajevo-Grunge-Klamotten, der riesigen
Sonnenbrille und mit der Sicherheitsnadel im Ohr. Sie sagt, ich solle meine Brust
weit machen und tief durchatmen. Wir stehen beide da wie zwei alberne Engel,
ich in meinem Kostüm und sie mit ihren Armreifen, zahllosen Metallringen, die
klingeln wie das Glöckchen am Hals eines Schafs.
»Warum kannst du
keine Kinder kriegen?«
Ich erzähle ihr meine
Geschichte.
»Dir wird nicht nur
der Bauch jeden Tag vorenthalten, sondern das Leben an sich, wieder und wieder
und wieder.«
Sie umarmt mich ohne
Ergriffenheit. Ihre Sicherheitsnadel streift meinen Mund, und es kommt mir so
vor, als hinge daran jetzt meine Zukunft.
Diego fotografiert
uns von hinten. Er sagt, er sehe uns gern zusammen, Aska erinnere ihn an ein
Mädchen aus Genua. Eine, die in einem Laden für Militärbekleidung am Hafen gearbeitet
habe, schweres, muffig riechendes Zeug, alte Marineuniformen.
»Hat sie dir
gefallen?«
»Sie war lesbisch.«
Aska fragt mich, ob
Diego und ich uns lieben.
»Ja, sehr.«
Sie nickt, schaut auf
das Wasser, bückt sich, hebt einen kleinen Stein auf und wirft ihn hinunter.
Diego nimmt uns ins
Visier, Arm in Arm auf dieser Brücke. Dann will Aska durch den Sucher sehen und
fotografieren, sie, uns.
Diego ist so redselig
wie bei seinen Studentinnen. »Du kannst einfach die Wirklichkeit fotografieren
oder auf die Suche gehen.«
»Wonach?«
»Nach etwas, was
vorbeikommt und was man gar nicht sieht. Was erst später zum Vorschein kommt.«
Er erzählt ihr, dass
er deshalb gern Wasser fotografiere, weil es sich bewege und unbemerkt etwas
einschließe, ein Vorüberziehen, einen Widerschein.
Aska drückt ab, gibt
Diego die Kamera zurück und lächelt.
»Wer weiß, vielleicht
habe ich ja was Unsichtbares fotografiert.«
Ich lächle auch, und
wieder ist es mein dummes Lächeln, denn wieder spüre ich, dass das Kind da ist,
es gleitet auf diesem Fluss auf uns zu. Ich drehe mich nach den beiden um, sie
gehen dicht nebeneinander auf dem Bürgersteig, ohne sich anzuschauen. Für einen
kurzen Moment sehen sie sich ähnlich. Sie sind gleich groß. Und sie haben den
gleichen Gang, schief und steif in den Hüften schwankend, als wollten sie einer
Gefahr ausweichen, während sie unverfroren auf sie zugehen.
Inzwischen haben wir
ihr die ersten fünftausend Mark gegeben. Am Tisch in unserer Bar hat sie sie
nachgezählt.
»Wäre es nicht
bequemer, sie auf ein Konto zu überweisen?«
Sie ist misstrauisch,
Jugoslawien zerbröckelt, und sie hat Angst, ihr Geld könnte in den Taschen
irgendeines Kerls in Belgrad landen.
Wir nehmen ein Taxi
und fahren wieder zum Arzt, sie umklammert die Mappe mit ihren
Untersuchungsergebnissen. Alles in Ordnung , sagt sie.
»Ich habe kein Aids.«
Ich berühre ihr Bein,
den löchrigen Strumpf, aus dem Blasen von schneeweißem Fleisch hervorbrechen.
»Aska, ich mache mir
Sorgen.«
»Wieso denn?«
Wer
sagt mir, dass sie das Kind nicht behalten will? Dass sie nicht sagt, sie könne
sich nicht mehr von ihm trennen, wenn sie erst einmal merkt, wie es sich in ihr
bewegt?
Sie beruhigt mich.
Nimmt die Sonnenbrille ab und zeigt mir ihre Augen, die an diesem Morgen
ungeschminkt sind. Sagt, sie habe mir ihr Wort gegeben.
»Aber jetzt kannst du
das doch noch gar nicht wissen.«
Sie sagt, sie wisse
es, sie wolle keine Kinder, sie habe keine Ahnung, was sie damit anfangen
solle.
»Das Einzige, was ich
will, ist Musik machen.«
»Und was erzählst du
deinen Freunden?«
Sie denkt eine Weile
nach. »In den letzten Monaten fahre ich weg, so mache ich das.«
»Und wohin?«
»Ich habe einen
Lieblingsort, an der Küste, dahin fahre ich.«
»Und ich komme mit.«
Sie nickt unter ihrer
Sonnenbrille.
Und schon bin ich
wieder zuversichtlich, das Auto fährt, und ich stelle mir ein weißes Häuschen
vor, außerhalb der Saison, mit einem leicht muffigen Geruch. Ich greife nach
Askas Hand, weil ich mir vorstelle, wie ich Hand in Hand mit ihr am Strand entlanglaufe,
sie mit ihrem Bauch und ich, die ich ihr Tee koche, mich um sie kümmere und ihr
einen meiner Schals um die Schultern lege. Das wird schön, nur wir zwei,
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