Das schönste Wort der Welt
darauf herum, und dann
stecken sie sie dir wieder zurück in den Bauch.«
Für einen kurzen
Moment habe ich das Gefühl, dass hier alle verrückt sind, sie sehen so
glücklich aus, als hätte es den Krieg schon gegeben, als wäre er schon vorbei,
als wäre dies ein Fest der Versöhnung.
Da stehen wir, Diego
und ich, an der Wand, zwischen dem Haufen Frauen, die wie kleine, bestickte
Lampenschirme aussehen, und diesem bosnischen Cowboy, der mit seiner krustigen
Lederjacke, von der es Fransen regnet, an mir vorbeigeht. Wir sind im Raum
neben dem Konzertsaal, die Frau mit der Trillerpfeife hat Tabletts mit
selbstgemachten Süßigkeiten und mit Herzhaftem gefüllte Röllchen auf den Tisch
gestellt.
In den Geruch nach
Regen, nach nasser Kleidung, die den warmen Dunst der Körper verströmt, mischt
sich der Geruch nach den Speisen Sarajevos, nach Gewürzen, nach Tierfett, nach
Sauermilchkäse.
Das Mädchen kommt zu
uns. Von nahem sieht sie viel jünger aus, sieht aus wie ein kleines Mädchen,
das sich geschminkt hat. Ihre verschwitzten Haare sind wie tropfender Rost. Sie
hat sich umgezogen, unter dem Chenillekleid brechen kaputte Jeans hervor. Sie
trägt eine Sicherheitsnadel im Ohr, den Kasten ihres Instruments um den Hals
und eine vollgestopfte Stofftasche über der Schulter. Die hohlen Hände voller
Gebäck.
»Das ist Aska, meine
Freundin.«
Sie sieht Gojko an,
lächelt, schluckt. Sie gibt uns eine fettige Hand.
»Ich bin Aska, Gojkos
Freundin.«
Sie spricht einigermaßen Italienisch, erzählt sie uns, weil
sie ein Jahr in Udine auf dem Konservatorium war. Sie hat Hunger, vor dem
Spielen kann sie nichts essen, sonst kotzt sie den anderen auf den Kopf , daher hat sie jetzt Hunger. Sie
betont die Wörter nicht, sie trennt sie, sperrt sie ein. Jedes Wort ein
Taktstrich, es klingt wie die monotonen Stimmen aus den Parkautomaten Guten Tag, bitte führen Sie den Parkschein
ein, bitte warten Sie .
»Aska, wie das Lamm
aus der Erzählung von Andrić«, platzt es
aus mir heraus.
»Ja, den Namen habe
ich mir selbst gegeben.« Sie lacht.
Ich betrachte die
hohe Stirn, die das Gesicht dominiert, und die wie Blätter verlängerten Augen,
tiefgrün, eingerieben mit schwarzer Schminke, die ihr ins Weiße sickert.
Sie kniet sich hin
und legt das Gebäck auf den Trompetenkasten. Dann zieht sie ihre Absatzschuhe
aus, um in ein Paar schwere grellviolette Militärstiefel zu schlüpfen.
Wir gratulieren ihr.
»Die Leute haben
geweint.«
Sie richtet sich auf
und bedankt sich ohne Überschwang.
»Die Leute haben
keinen Sinn für Ironie.«
Ein alter Herr mit
einer Kippa auf dem Kopf kommt vorbei, ein Lehrer, er spricht sie an und
umschließt ihr Gesicht mit seinen zitternden Händen. Ernst hört sie ihm zu,
dann klaut sie ihm eine Zigarette aus der Drina-Schachtel, die in seiner Jackentasche
steckt. Der Alte lächelt und gibt ihr Feuer. Jetzt redet Aska mit dem Alten,
wobei sie ihn fest anschaut und ihm Rauch in die Augen bläst. In ihrer Sprache
spricht sie mit einer anderen, klangvolleren Stimme, sie hastet über die Wörter
wie vor kurzem über die Noten.
Sie sagt, sie habe es
eilig, habe gegessen und geraucht und müsse jetzt los, um in einem Tanzklub
Trompete zu spielen. Vor der Schule steht ihr Motorrad, ein altes Geschoss, das
wie eine Militärmaschine aussieht. Sie schlingt sich ein schwarzes Tuch um den
Kopf, vielleicht ist sie Muslimin, vielleicht ist es nur wegen der Kälte. Ihr Kleid
hat sie hochgerafft und hinten wie zu einem Schwanz verknotet, jetzt steigt sie
breitbeinig auf, mit ihren Jeans, mit ihren violetten Stiefeln und mit dem
Trompetenkasten um den Hals.
Diego will ein Foto
von ihr machen, hat aber keinen Blitz, vielleicht reicht der Lichtkegel der
Laterne, jedenfalls versucht er es.
»Hat mich gefreut,
euch kennenzulernen.«
Aska wirft den Motor
an und sticht mit ihrer Karre in die Nacht.
Später bittet mich
Diego, ihm Andrićs Geschichte von Aska, dem Lamm zu
erzählen.
Es ist die Geschichte
eines widerspenstigen Lämmchens, das immer nur tanzen will und nicht auf die
Ermahnungen seiner Mutter hört. So entfernt es sich eines Tages von der Herde.
Als es die Augen wieder öffnet, steht der Wolf da. Er hat großen Hunger, will aber
noch warten, das dumme, tanzende Lämmchen amüsiert ihn. Es spürt die schwarzen
Wolfsaugen auf seinem schneeweißen Fell, und es weiß, dass sein letztes
Stündlein geschlagen hat, weiß, dass es auf seine Mutter hätte hören sollen. Es
ist in panischer Angst, doch es
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