Das schönste Wort der Welt
Samenentnahmen. Weg von allem, was mich so gequält hat.
Kein Abspritzen ins Reagenzglas mehr, sondern Liebesergüsse ins Fleisch. In
Askas weißes, warmes Fleisch, das mir jetzt wie mein eigenes vorkommt. Es wäre
wie Liebe zu dritt, ein zärtliches Miteinander wie kurz zuvor, als wir an die
Fensterscheibe gedrückt dastanden. Wir und unser Lamm.
Aska war das zu uns
passende Fleisch, sie war jung, und sie gefiel Diego. Dieses Sahnetörtchen
hätte jedem gefallen, dieses strahlend schöne Dummköpfchen aus Sarajevo, das
durch die Mode und durch die Dummheit gegen sich selbst ein wenig verunstaltet
war.
Wir sahen uns noch
eine Weile in die Augen. Da war keinerlei Verlegenheit, sie senkte den Blick
nicht, wandte ihn nicht ab, diesen Blick, der sich in meinen fügte, und da war
auch keine Arglist. Sie war nur nicht mehr so fröhlich. Jetzt hatte sie sich ans
Fenster gelehnt. Und ich erfuhr etwas über sie. Sie war ein Wesen, das etwas
losgelöst von den Dingen war, als gäbe es zwischen ihr und allem ringsumher
stets einen kleinen Zwischenraum, der durchquert, der gewaltsam passiert werden
musste. Für sie gab es keine Brücken, sondern nur einen strömenden Fluss, und
sie suchte im Wasser nach einem Halt, einem herausragenden Stein, irgendwas.
Jetzt hatte sie ihn gefunden, diesen Stein, und es spielte keine Rolle, dass er
ihr eigener Körper war.
Mir ging durch den
Kopf, dass sie vielleicht auf mich gewartet hatte, dass sie zu mir gekommen
war, um mir zu helfen, dass sie genau dafür geboren war. Dass dies ihre
Bestimmung war. Sie war zufällig zwischen uns geglitten, wie ein Kind beim
Liebesspiel. Und dies war eine Nacht der Liebe. Da waren die fernen Schüsse,
die uns geradezu Gesellschaft leisteten, uns warnten und uns sagten, dass das
Leben seine Risiken hat, seine Schwierigkeiten, sodass man genauso gut auf alle
Umschweife pfeifen und alles auf eine Karte setzen konnte, mit aller Konsequenz.
Ich sah aus dem Fenster auf die scharf umrissenen Berge im Mondlicht. Was waren
wir, Schafe oder Wölfe?
»Aska will trotzdem
weitermachen.«
Diego lachte auf, er
war erhitzt.
»Ich soll also …«
Sein Blick flatterte
zu mir und gleich wieder weg, wie ein Falter gegen das Licht. Sein Hemd stand
offen, die Locken klebten ihm auf der Stirn, seine Lippen waren rissig von der
Kälte. Die roten Flecken, die sich immer bildeten, wenn er sich schämte,
breiteten sich im Nu über sein Gesicht aus, wie eine heftige Allergie. Wir
wälzten uns benommen durch die Nacht, vorwärtsgetreten von diesem merkwürdigen
Spiel. Als wir den Heimweg fanden und unser Bett, war meine Stimmung noch
unklarer, eine verschleimte Kehle. Diego hatte sich nur die Hosen ausgezogen und
lag nun im Hemd und mit nackten Beinen unter der Decke, wir stanken nach Milch
und Kakao.
»Wie geht die
Geschichte von Andrić denn aus?«
»Gut. Das Lamm hört
nicht auf zu tanzen, deshalb will der Wolf es erst später fressen und merkt
nicht, dass sie schon dicht ans Dorf herangekommen sind. Die Bauern kreisen ihn
ein und töten ihn. Die Mutter hält dem tanzenden Lamm eine Standpauke, und es
verspricht, nie wieder wegzulaufen, doch weil es so gut tanzen kann, darf es
künftig zur Ballettschule gehen.«
Ich klammerte mich an
Diegos dünne Beine. Wir küssten uns lange. Seit Monaten hatten wir nicht mehr
miteinander geschlafen, und nun waren wir plötzlich erregt.
Die Dämmerung glänzte
schon auf, wie ein Tümpel in der Nacht, ein heller Schein in der Nähe und in
der Ferne die Dunkelheit der Berge.
Am folgenden Tag
besuchte ich Gojko beim Rundfunk. Ich stand vor dem Aufnahmestudio und wartete,
bis er mit seiner Sendung fertig war. Es war später Vormittag, doch dort
drinnen schien es noch Nacht zu sein. Gojko stand mit Kopfhörern auf den Ohren
in einem kleinen, gelben Licht, seine zigarettenheisere Stimme raschelte aus
dem Mikrofon, sinnlich und weich. Er rezitierte ein Gedicht, sah mich, schickte
mir einen Kuss, den er über seine Hand blies, und schenkte mir einige Verse von
Mak Dizdar:
Kako svom izvoru
da se vratim?
(Wie komme ich nur zurück
zu meiner Quelle?)
Wir setzten uns ins
Foyer neben die Tür und tranken Kaffee aus dem Automaten.
»Was soll ich dir
sagen?«
»Die Wahrheit. Was
dein Gefühl dir sagt.«
Ab und zu kam jemand
herein und brachte etwas Luft mit.
Ich war gekommen, um
mir Rat zu holen. Der Kaffee im Pappbecher war zu heiß, ich hatte meine Bluse
bekleckert.
»Die beiden wollen
ficken, genau das sagt mir mein Gefühl.«
Ich
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