Das schönste Wort der Welt
schüttle den
Kopf, blase die Wangen auf, möchte etwas sagen, wehre den Schlag ab. Wir sehen
aus dem Fenster auf den Garten im Innenhof, auf Zweige, die mit kleinen,
staubigen Blüten betupft sind.
»Diego glüht vor
Liebe zu dir, ich denke, er ist inzwischen gut durch«, sagt er lachend.
Er steht auf, geht
zur Toilette und kommt mit einem klatschnassen Taschentuch zurück.
»Aber er ist auch
bloß ein Mann, und der Schwanz folgt nicht immer dem Weg des Herzens, er haut
ab in die Tiefe … in schäfchenweiche Gefilde.«
Er lacht wieder,
sagt, dieses Lamm sei ein verlogenes Schlitzohr und ihm nicht sympathisch, doch
behalten werde es dieses Kind garantiert nicht.
»Aska ist jung und
will sich amüsieren. Darf ich?«
Er reibt mit dem
nassen Taschentuch auf meinem Kaffeefleck herum.
»Nimm dir, was du
brauchst, und hör auf, dich zu quälen. Besorg dir dieses verdammte Gör, damit
wir es dann in den Krieg schicken können …« Wieder lacht er, doch ohne
Begeisterung.
Ich schaue ihn an, er
sieht gut aus an diesem Vormittag, das blaue Hemd steht ihm und die Brille
auch. Vielleicht ist er der beste Mensch, den ich kenne, der aufrichtigste und
einsamste.
»Ich habe Angst.«
»Vor einem Schaf?«
Gojko starrt auf
meine Haut, die sich unter der nassen Seide abzeichnet.
»Ach, diese
Sehnsucht«, flüstert er.
»Warum wurde heute
Nacht in den Bergen geschossen?«
»Die Arschlöcher
wollen Präsenz zeigen.«
Wir gehen Arm in Arm
unter dem weißen Staub spazieren, der sich von den Bäumen löst.
»Wird was passieren?«
»Sie werden wieder
abziehen.«
Er sieht mich an und
starrt erneut auf meine rosa Haut unter der nassen Bluse.
»Wasser lässt sich
nicht zerschneiden.«
»Ich gebe dir, was du
haben willst, dann bin ich weg.«
»Vielleicht kommen
wir dich ja in London oder Berlin besuchen, wenn du ein Rockstar geworden bist.
Wir werden dir zujubeln.«
»Ja, vielleicht.«
»Aber du wirst so
tun, als würdest du uns nicht kennen.«
»Nein, ihr werdet
erst gar nicht kommen.«
Wir sahen uns nur
noch selten, bei schnellen, förmlichen Begegnungen. Aska wollte immer rasch
wieder weg, sie war unruhig und klammerte sich an ihren Trompetenkasten wie an
einen Schild.
Etwas hatte sich
verändert.
Diegos Augen waren
nervöser, seine Wimpern wie Insektenbeinchen auf der Flucht.
Die beiden sahen sich
fast nie an, doch gerade in dieser weiträumigen Umkreisung verknüpften sich die
Fäden. Ich merkte es und hielt den Mund.
Ich brauchte nur noch
abzuwarten. Sie waren es, die den Schlitten zogen. Für mich gab es keinerlei
Risiko. Diego gehörte zu mir wie jeder Tropfen meines Blutes. Und ich wollte,
dass dieses Kind aus einem Vergnügen geboren wurde und nicht aus einer
Traurigkeit. Ich hatte die Nase voll von kümmerlichen Gespenstern, von
traurigen Frauen und von trüben Kindern. Mir gefiel dieses Bankett der Jugend.
Aska war ernster
geworden, stärker nach innen gekehrt.
Ihre ganze
Unbefangenheit kam mir nun genauso aufgesetzt vor wie ihre Art, sich zu kleiden
und sich die Haare zu zersäbeln. Sie erinnerte mich an eine der Puppen, denen
ich als kleines Mädchen mit Filzstift und Schere den Garaus gemacht hatte.
Bei diesen Treffen
war Diego sehr wortkarg, nickte manchmal, wenn ich etwas sagte, und war im
Übrigen weitgehend passiv.
»Ich weiß nicht, ob
ich das kann«, sagte er zu mir.
Er klebte an mir wie
ein Kind, als hätte er Angst, mich zu verlieren. Wir waren uns einig, nur eine
Zusammenkunft. Falls es nicht klappte, wollten wir abreisen.
Immer wieder fragte
er mich: »Bist du dir sicher?«
Ich wollte ein Kind
von ihm, das war das Einzige, worin ich mir sicher war. Ich schloss die Augen und
dachte an dieses Kind. Ich gab mich ruhig und sprach ausschließlich über
praktische Dinge. Jetzt schien ich der Arzt zu sein. Ich hatte von meinen Peinigern
gelernt und benutzte ihren gelassenen Tonfall, ihren amtlichen Jargon. Der
Zyklus sei regelmäßig, in einer Woche sei das Lamm fruchtbar.
Es hatte Unruhen und
einen Toten gegeben. Man hatte den Vater eines Bräutigams auf dem Platz vor der
orthodoxen Kirche ermordet.
Aska war außer sich.
»Mitten in der Baščaršija schwenkte er die Fahne mit den Adlern
der Tschetniks!«
Ich nahm Diegos Hand
und führte sie zu Askas, die einsam auf der kleinen Mauer der Uferpromenade
lag, dann legte ich meine darauf.
»Alles wird gut«,
sagte ich.
Es war eine Art
Ritual. Ich spürte der Wärme nach, die von diesem Händeknäuel ausging, den
kleinen Windungen der
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