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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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schwarzen
Sintflut eine schimmernde blaue Blase. Wir sitzen davor wie vor einem Kamin.
Stimmen, die schwimmen, wie die Fische schwimmen, kaum sichtbare, blaue Nasen.
Sebina hat ihr Kinn zwischen den Knien vergraben und lächelt mit ihrem dünnen
Mund. Gojko zieht sie auf und lässt sie mit seinem makabren Humor nicht in
Ruhe, er rät ihr, aufzupassen, weil es bei dem allgemein herrschenden Hunger
jemandem in den Sinn kommen könnte, ihre Fische zu klauen, sie sich zu angeln
und aufzuessen.
    Als ich sie besuche,
läuft sie mir auf Rollschuhen entgegen, an die Leuchtschuhe geschnallt, die ich
ihr geschenkt habe. Sie ahmt die Mädchen aus dem Fernsehen nach, die Serviermädchen
aus den amerikanischen Fastfood-Restaurants, mit Rollschuhen, Minirock und
weißem Schwänzchen. Sie beugt sich zu mir hinunter und stellt mir einen leeren
Teller und ein Glas hin. In der Hand hat sie einen kleinen Notizblock, um die
Bestellung aufzunehmen.
    »Was darf es sein,
Signora?«
    » Uštipci, kolači und Erdbeertorte.«
    Sie serviert mir ein
Buch, dann einen Topflappen und anschließend eine umgestülpte Tasse. Ich stopfe
mich voll, indem ich Luft kaue. Sie lacht. Und sagt: »Na ja, so eine
Erdbeertorte wäre jetzt gar nicht mal so schlecht.«
    Es gibt keine Eier,
keine Butter, doch wir können versuchen, sie aus Pflaumenmus, Sonnenblumenöl
und dunklem Mehl zusammenzumischen. Das Resultat ist ein hartes Etwas, auf dem
Campingkocher in der Pfanne gebacken und mit Poren durchsetzt wie ein narbiges
Aknegesicht. Trotzdem lecken wir uns alle zehn Finger danach. Wir pressen die
Fingerkuppen auf den Teller, um die Krümel aufzusammeln. Dann der Schlag, der
noch lange in den Ohren bleiben sollte. Die Granate muss in unmittelbarer Nähe
niedergegangen sein. Der Knall trifft uns von hinten, plötzlich, er geht uns
durch und durch. Alles erzittert. Erst einige Augenblicke später wird uns klar,
dass wir durch Zufall mit heiler Haut davongekommen sind. Durch jenen Zufall,
der in Sarajevo inzwischen als Wunder bezeichnet wird. Wenn wir geblieben
wären, wo wir kurz vorher waren, bevor wir diesen Kuchen gebacken haben …
    Der Splitter ist da,
er hat die Plastikverkleidung des Fensters durchschlagen und ist in die Wand
eingedrungen. Ein verbogenes Stück Metall, scharfkantig wie ein Spaten und
länger als eine Elle. Die Wand ringsumher hat Risse, tiefe Spalte lassen erkennen,
was dahinter ist. Es sieht aus wie eine Skulptur, wie das Werk eines
Konzeptkünstlers. Die Wand wie von der Dürre aufgerissene Erde und das glühende
Stück Eisen wie ein mächtiger, böser Spaten. Titos Bild ist nicht
heruntergefallen, es hängt jetzt schief, doch immer noch an seinem Haken. Ich
denke, dass Diego ein Foto davon machen sollte, dass dieses Bild einen Zeugen
braucht.
    Das Herz bewegt sich
vor und zurück wie ein kleines Pendel, es zählt die Sekunden. Kein Einsturz.
Mit angehaltenem Atem warten wir darauf, dass das angegriffene Haus sein
Gleichgewicht wiederfindet. Das Aquarium mit den Fischen ist noch unversehrt.
Sebina betrachtet es … betrachtet diese bunten Schuppen, die in dem
erschütterten Wasser hin und her wogen. Wir betrachten das standhaltende Leben.
Diese Fische, die schwanken wie die Lilien auf der neuen Fahne Bosniens. Es
dauert nur einen Augenblick, dann geht ein Riss durch das Glas, unsichtbar.
Eine versunkene Erschütterung, die noch im Wasser gefangen war und erst jetzt
ausbricht. Das Aquarium bricht entzwei, zerbirst in tausend Stücke. Die Fische
fallen in den Staub, sie zappeln mit ihren schmutzigen Rücken auf dem Boden.
Sebina brüllt auf, und ich schreie, sie solle sich nicht vom Fleck rühren, die
Decke könnte herunterkommen. Doch Sebina stürzt sich in den Staub. Ich krieche
zu ihr, und wir tappen durch die einsturzgefährdete Bude, um diese kleinen,
unwichtigen Geschöpfe zu retten. Die trotzdem wichtig sind. Sogar wichtiger
denn je, wie ein Symbol, wie diese Lilien. Ich nehme den Kanister und fülle etwas
Wasser in einen Topf, dort hinein werfen wir die Fische. Später stehen Sebinas
Augen voller Tränen, die nicht herunterrollen, wir beobachten die Bewegung der
Fische in diesem Topf, in diesem staubtrüben Wasser. Bis auf einen sind alle am
Leben. Ein kleines Etwas, das oben treibt wie ein Zigarettenstummel.
    »Der Kleine ist tot«,
flüstert Sebina. »Mein Bijeli .«
    Ich tröste sie. Es
sei schon ein Wunder, dass alle anderen überlebt hätten.
    Später wird ihr Gojko
ein neues Aquarium besorgen, und Gott allein weiß, welche

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