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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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doch in öffentlichen Räumen tun wir das ja mehr oder weniger
alle, es ist die Generalprobe der Frau, die ich gern wäre. Das Einzige, was ich
über mich weiß, ist, dass ich nicht leiden möchte. Ich bin in einer
einschichtigen Welt aufgewachsen, einer womöglich abgestumpften, doch
tröstlichen Welt.
    Am Ende bleibt mir
von Sarajevo ein trauriger Nachgeschmack. Ich denke noch einmal an die
tadellose, prachtvolle Eröffnung der Olympiade zurück, doch auch dort, über dem
glitzernden Stadion, lag die metallische Dunstglocke einer undurchdringlichen
Traurigkeit, über die die federleichten Bewegungen der Majoretten und die
Sprünge der kleinen Schlittschuhläuferinnen nicht hinwegtäuschen konnten. Es
herrschte eine militärische Düsterkeit, dieselbe Düsterkeit, die allen Athleten
aus dem Osten gemeinsam ist, der deutlich spürbare Eindruck, dass ihnen das
Training kein einziges Mal Spaß gemacht hat. Und was ist mit den Augen des
kleinen Verkäufers gerösteter Haselnüsse vor dem Zetra-Eisstadion? Waren das
die Augen eines Kindes oder einer Maus? Ich habe ihn gestreichelt, habe ihm ein
Trinkgeld gegeben, doch er hat mit keiner Wimper gezuckt, ein Kind aus Stein.
    Ich habe Gojko
gesagt, er solle gehen, doch er streunt auf dem Flughafen herum und geht seinen
Geschäftchen nach. Er kommt zu mir, pustet mir Rauch ins Gesicht und beäugt die
Zeitung.
    »Wer ist das denn?«
    »Die Frau von Prinz
Charles.«
    »Ist die aus
Bosnien?«
    »Nein, aus England
natürlich.«
    »Sie sieht aus wie
meine Mutter.«
    Ich lege die Zeitung
zusammen und stopfe sie in meine Tasche.
    »Aber meine Mutter
ist schöner.«
    Ich habe die Schnauze
voll von diesem anmaßenden Bosnier, der sich einbildet, dieses hinterletzte
Scheißkaff sei der Nabel der Welt. In einer Tour hat er es wiederholt: die Grenze zwischen Orient und Okzident, das
Jerusalem des Ostens … der Kreuzweg jahrtausendealter Kulturen und Avantgarden . Und jetzt ist seine Mutter auch noch
eine heißere Braut als Lady Diana. Ach, leck mich doch.
    Hier ist es im Winter
hundekalt, und im Sommer geht man ein vor Hitze, ihr seid deprimierend,
großspurig und lächerlich, die Frauen sind zu stark geschminkt oder zu farblos,
und die Männer stinken nach Zwiebeln, Grappa und Schweißfüßen in schäbigen
Schuhen. Ich habe die Schnauze voll von Pita und Ćevapčići, habe Appetit auf Salate und
Seebarsch. Du bist mir verdammt auf die Nerven gegangen, Gojko, deine Witze
bringen nicht zum Lachen und deine Gedichte nicht zum Weinen.
    Schadenfroh denke ich
an Andrić … Wenn ich aber in einem Wort ausdrücken soll,
was mich aus Bosnien forttreibt, dann würde ich sagen: der Hass .
    »Meine Mutter liegt
im Krankenhaus.«
    »Aha, und was hat
sie?«
    »Sie kriegt ein Kind,
seit einer Woche ist sie jetzt da drin, sie kriegt ein Kind, aber es kommt
nicht.«
    »Wie alt ist denn
deine Mutter?«
    »Vierundvierzig, sie
hat mich mit siebzehn bekommen, und jetzt kriegt sie noch ein Kind, nach all
der Zeit.«
    »Das ist doch schön.«
    »Das ist das Leben.«
    Warum rufen sie die
Flüge nicht auf? Die Anzeigetafeln stehen schon seit einer Weile still.
    »Streiken sie?«
    Gojko bricht in
schallendes Gelächter aus und boxt sich gegen den Kopf. Er kann es nicht
fassen, dass ich so einen Blödsinn von mir gebe.
    Der Flughafen gleicht
inzwischen einem Bahnhof zur Hauptverkehrszeit, der Gestank des
Zigarettenrauchs ist unerträglich. Ich stehe auf und gehe nach hinten zu den
Fenstern, ich will die Rollbahn sehen, will sehen, ob überhaupt Flugzeuge
starten. Ich presse meine Nase gegen die Scheibe, kann aber nichts erkennen,
alles ist weiß, es schneit.
    Ich höre einen Ton,
schwingende Gitarrensaiten. Und drehe mich um. Diego sitzt auf dem Boden, mit
dem Rücken an der Wand, in einer Ecke zwischen der Glasfront und einer Tür fürs
Personal. Er klimpert auf der Gitarre, mit gesenktem Kopf.
    »Es schneit.«
    »Tja.«
    »Sehr.«
    Ich stehe da und
warte, gegen dieses reinweiße Mistwetter gelehnt, dieses Schicksal. Nun weiß
ich, dass ich mir nichts weiter gewünscht habe, als dass jemand anders für mich
entscheidet. Ich fahre mit dem Finger über die Scheibe, über meinen Atem,
zeichne eine Wellenlinie, einen Gedanken.
    »Du hast mich
verletzt.«
    Was redet er denn da?
Wieso spricht er mit so einer Vertrautheit von uns?
    »Komm, setz dich
her.«
    Ich setze mich neben
ihn, auf eine Bank. Nicht auf den Boden, auf den Boden ist zu viel. Ich trage
diesen strengen Midirock eines anständigen Mädchens, das sich

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