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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Geldbauch
alles enthalten ist, unser Glück und unsere Traurigkeit.
    Hätte ich Pietro das
erzählen sollen? Weißt
du, Mama war mit fünfzigtausend Mark in kleinen Scheinen schwanger, sie lagen
ihr schwer im Schoß, unter der Brust . Ihm erzählen sollen Weißt du, wir waren wirklich großzügig, der Fotograf und ich, Opa
hatte das Haus am Meer verkauft, um uns unter die Arme zu greifen . Die Summe war unverhältnismäßig
hoch, manche Leute haben in Sarajevo ein Kind zu einem Schleuderpreis gekauft.
    Ich wiege diesen
Geldbauch, halte ihn fest. Wir umarmen uns mit dieser Last zwischen uns, die
uns ein wenig trennt.
    Aska ist auf den
Beinen und geht vor den Toilettentüren auf und ab. Manchmal bleibt sie stehen
und stützt sich zwischen zwei Waschbecken an der Wand ab. Ich gehe zu ihr. Nur
wenige Schritte in diesem Unterseebergwerk.
    Es herrscht der
strenge Geruch nach verstopften Klos, den die Desinfektionsmittel nicht ganz
überdecken können. Unser Atem ist weißer Rauch. Wir sind unter der Eiskruste
eines arktischen Sees begraben. Nach langer Zeit sind wir drei wieder zusammen.
    Auch davon sollte ich
Pietro erzählen. Von diesem anderen Geruch, nach Gefängnis, nach Verlassenheit.
Von dieser Begegnung.
    Die
Trompetenspielerin, Andrićs
ungehorsames Lamm, diese Widerspenstige, die vor dem Wolf tanzt, sieht mich so
ausdruckslos an, als könnte sie sich nicht an mich erinnern.
    Dabei waren wir
einmal befreundet, eine Ewigkeit vor dieser Belagerung, die ihre Stadt
zerfressen hat. Eines Abends haben wir umschlungen vor einem
Janis-Joplin-Poster getanzt, und sie, die Jüngere und Ärmere von uns beiden,
hat mich gestützt, sie erstrahlte in ihrer wilden Zukunft als Musikerin,
während ich zu ihr sagte Ich bin viel ärmer als du . Ihre Haare sind glanzloser als früher, sie fallen ihr mit einem
Gummi festgezurrt auf den Nacken. Ihr Gesicht, von einem grauen Licht
durchzogen, zeigt keinerlei Regung. Dann sehe ich hinunter.
    Sie hat den
Schaffellmantel an, den Diego im Markale gekauft hat, sie trägt ihn offen über
dem Morgenmantel. Ich starre den hervorstehenden Bauch an, der, wir mir
scheint, riesig aus dieser Magerkeit herausragt. Sie hat die Hände an den
Nieren in die Hüften gestützt und lehnt mit dem Kopf an der Wand. Diego steht
daneben, doch irgendwie ist er gar nicht da, er hat uns beide allein gelassen.
Askas Bauch ist groß und fest.
    »Darf ich mal
anfassen?«
    Diese Stimme kommt
aus einem Brunnen, und sie scheint nicht meine zu sein. Aska nickt, ohne mich
anzusehen. Sie nimmt die Arme vom Körper, wie um mir Platz zu machen. Und ich strecke
die Hand aus.
    Und das sollte ich
Pietro erzählen; eines Tages, bevor ich sterbe, sollte ich ihm von diesem Arm
erzählen, der sich von mir löst und sich auf ihn zubewegt.
    Meine Hand setzt so
unsicher auf wie die erste Fähre auf dem Mond, meine Finger sind starre
Metallfüße.
    Ich bin niemand, nur
ein Eindringling, ein Eisenvogel auf einem Planeten, der mir nicht gehört.
    Doch dann weiß ich
natürlich, was zu tun ist, es ist, als würde man sich ausziehen, um ins Wasser
zu gehen, sich entblößen. Es ist bitterkalt, doch meine Hand scheint mit heißem
Schnee festzukleben. Ich bin hier, und ich möchte nie mehr weg. Ich atme tief
durch.
    Und das Wasser ist
jetzt nur noch dieses unterseeische Fruchtwasser.
    »Hast du das Geld
dabei?«
    Ich nicke mit dem
ganzen Körper, zeige ihr den Rucksack auf meinem Bauch, diese Beule unter dem
Anorak. Dieser Geldbauch, der erbärmlicher ist als alles andere, macht mich
wirklich zu einem Nichts.
    » Dobra «, sagt sie, gut.
    Dann kommt dieser
Stoß, in meine Hand, die auf ihrem Bauch liegt. Und es ist ein Kopf, der
kämpft, wie der eines Fisches unter dem Eis.
    Ich schreie auf. Ich
spüre diesen Stoß von innen und schreie auf.
    Was war das? Ein Fuß?
Ein Ellbogen? Eine Faust?
    Dann sehe ich nichts
mehr, nur noch einen Himmel aus blauem Matsch, und ich spüre eine Übelkeit, die
vom Kopf nach unten zieht … Und ich weiß, dass ich ohnmächtig werde, weil ich
nichts gegessen habe, weil mir dieser Stoß in meinen leeren Unterleib gefahren
ist, in diesen Teppich aus stillem Fleisch, das sich zwischen den Beckenknochen
verbirgt, den Knochen, die bei Skeletten flach und weiß sind.
    Ich bin ein kaputter
Sandsack, spüre, wie die Körnchen nach unten rinnen, wie sie rau durch meinen
Körper rieseln. Jetzt ist der Sand komplett in meinen Füßen, mein Kopf ist
leer, ist Licht, das auslöscht.
    Ich liege in Gojkos
Armen und öffne die

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