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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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etwas stoßen, auf ein Hindernis, das es
ablenkt. Dieser Moment ist der beste. Er ist kein reines Vergnügen, er ist auch
schmerzhaft, wie ein verspäteter Samenerguss. Seine Brust fängt den Rückprall
auf. Die Luft ist weiß. Die Kugel hat den Nacken erreicht, das Kind ist aufs
Gesicht gefallen. Die anderen nehmen Reißaus, sie lassen ihre Schlitten stehen
und laufen wie erschreckte Kaninchen auseinander. Der Scharfschütze kehrt an
die Stelle zurück, schweift mit seinem Fernrohr umher und wirft einen Blick auf
die zurückgebliebenen Spuren. Ihm gefällt diese Stille, wenn er sein Werk
begutachtet, wenn nur er und sein Treffer noch da sind. Er überprüft die
Schusswunde im Nacken, perfekt. Das kleine Ziel, das maleni cilj war auf der Stelle tot, es ist nicht einmal
ein Stückchen auf den Ellbogen gerutscht. Der Scharfschütze muss keine weiteren
Schüsse verschwenden, um es zu erledigen.
    Jetzt lächelt er, die
Wangen in Falten, die Augen reglos, weil das Herz tot ist. Es wird einige Zeit
vergehen, bevor sie kommen, um das Kind zu holen, er weiß es. Sie warten, bis
er weg ist, bis seine Schicht zu Ende ist. Das Gesicht des Kindes wird im Schnee
blau. Die Kippe, die der Scharfschütze weggeworfen hat, brennt immer noch.
Manchmal kommt ein Journalist herauf und sagt Schieß mal, ich will dich beim Schießen
filmen , und
der Scharfschütze schießt für den Journalisten. Dann gibt er das Interview, die
Arme verschränkt, das Kreuz auf dem Tarnanzug, das Barett schwarz.
    Es ist
wie Karnickelschießen , er lächelt. Dann verhärtet sich sein Gesicht zu einer Kruste, und
übrig bleibt ein armseliges Staunen, das Staunen des Teufels, der sich selbst
anschaut.
    Dann das Geräusch des
lebendigen Neugeborenen, ein verschleimtes Wimmern, wie das Jammern einer
Katze. Keiner von uns rührt sich. Nur Diego macht einen Schritt auf sein Kind
zu, dann hält er inne. Er kommt zu mir zurück und gibt mir eine Hand.
    Die Frau ruft uns,
winkt uns herbei. Sie zeigt uns das Kind, es ist ein Junge. Niemand von uns
wusste, was es war, dabei ist es Pietro.
    »Pietro …«
    Ich schaue ihn an,
doch ich sehe ihn nicht gleich, ich sehe ihn später. Zunächst verschlinge ich
ihn. Vor Staunen öffne ich den Mund, und er springt mir in die Kehle. Die Frau
im Kittel macht ihn am Fußende der Liege sauber, sie hat ihn umgedreht und
reibt ihn mit einem Tuch ab, das sie in eine Metallschüssel taucht. Es ist
hundekalt, sein Körper ist winzig, violett, dunkel. Er sieht aus wie ein von
Meereswurzeln fleckiges Weichtier. Die Frau sputet sich, reibt ihn ohne viel
Federlesens ab. Es ist ihr Beruf, Fische aus dem Meer zu holen. Sirenen heulen
auf, das Licht flackert, dann eine Explosion, doch niemand nimmt sonderlich Notiz
davon. Die Frau schimpft, wie man auf zu laute Nachbarn schimpft. Der Krieg ist
in ihr, in ihren kinderfischenden Armen.
    » Odijeća … odijeća … «
    Sie will
Kleidungsstücke, sieht uns an, fragt, ob wir welche dabeihaben.
    Ich schüttle den Kopf
und mache erneut den Mund auf, um nichts zu sagen, um lediglich zu seufzen,
dass es mir leidtue, ich hätte nicht daran gedacht. Diego bittet sie, zu
warten, öffnet die Fototasche und holt einen kleinen Strampler heraus, einen
handgestrickten Wollanzug in einem leicht vergilbten Weiß.
    »Wo hast du den denn
her?«
    Er hat ihn auf dem
Markt gekauft. Und ich erstarre zur Salzsäule bei dem Gedanken, dass er daran
gedacht hat. Die Frau nimmt den Strampelanzug und steckt das Baby hinein, er
ist ihm viel zu groß, die Hände sind nicht mehr zu sehen, und unten bleibt ein
Stück übrig, das wie eine leere Socke herunterhängt. Sie legt das Baby Gojko in
den Arm, vielleicht weil er der Einzige aus Sarajevo ist oder weil sie annimmt,
er sei der Vater. Gojko sagt nichts, nickt und rückt mit dem Kinn weg, als
hätte er Angst, das Kleine mit seiner Schnapsfahne zu betäuben. Seit Sebina hat
er kein Menschlein mehr gehalten, das nur zwei Hände groß ist, und das war in
einer anderen Welt, in einem anderen Leben, weit weg von diesem Rost und dieser
Kälte, in einem Krankenhaus, das nach Himbeertee duftete.
    Er kommt mit der Nase
näher, den Mund geschlossen, und zieht hoch.
    »Es riecht gut«, sagt
er.
    Sollte ich Pietro das
erzählen? Ihm sagen Weißt du, dieses bosnische Rindvieh, dieser Überlebende, der für uns
den Reiseführer gibt und dir ein bisschen unsympathisch ist, weil er keine
Geduld hat und beim Fußball schummelt, das ist der Typ, der dich als Erster auf
dem Arm hatte und der

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