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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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vollgestopften Kissenbezug an sich. Es geht ihr besser,
auch wenn ihr Gesicht von der Blutarmut blass ist.
    Danke , sage ich zu ihr.
    Sie nickt, und
vielleicht wollte sie endlich weinen, doch dafür bleibt keine Zeit.
    Wir gehen fort, und
das Lamm taucht in den Papieren nicht auf, taucht in der Geschichte nicht auf.
Das handkleine Kind hat unter der kratzigen Wolle eine verknotete Schnur am
Bauch, dort, wo es mit dem Körper des Lamms verbunden war. Eine Schnur, die
vertrocknen und abfallen wird, sodass es nur noch eine Muschel aus einem fernen
Meer sein wird. Es wird nicht im Tal der Wölfe bleiben, wird kein Kaninchen
sein, kein maleni
cilj .
    Diesmal haben
ukrainische Soldaten Dienst, sie helfen uns beim Einsteigen in einen weißen
Panzerwagen. Ich drehe mich zu Gojko um. Wir werden uns erst in sechzehn Jahren
wiedersehen, doch das weiß ich noch nicht. Ich drehe mich zu einem Toten um,
wie immer in Sarajevo, wenn man sich von jemandem verabschiedet.
    » Čuvaj se «, pass auf dich auf.
    Er war es, der mit
den Soldaten gesprochen hat, sie überredet und ihnen das Geld gegeben hat,
alles, was noch übrig war. Es ist ein Service, der seinen Preis hat, ein UNO -Zubringer zum Flughafen. Jetzt sind
wir in dieser weißen Schildkröte, die sich in Bewegung setzt. Es herrscht ein
Höllenlärm, das Kind ist wie eine Puppe, beim Beben des Panzerwagens regt es
sich, ohne aufzuwachen. Wer ist dieses Kind, das sich schwerelos und seelenlos
fortbringen lässt wie ein Fuß in einer Socke? Es ist alles, was ich wollte, es
ist der Grund, weshalb wir durch diese Hölle gegangen sind, die auf uns wartete
wie ein Nagel im Schicksal, und nun bin ich dermaßen kraftlos, dass ich es
fallen lassen könnte. Der Panzerwagen fährt über Trümmer, wir spüren unter unseren
Füßen, wie er klettert. Der ukrainische Soldat lacht, spricht Englisch, fragt
uns nach dem Baby und kommt näher, um mit der Hand die Decke wegzuschieben und
sein Schnäuzchen zu sehen.
    Wir halten an einer
Sperre, der Soldat schaut aus dem Fenster und spricht mit einem Paramilitär.
Die serbischen Aggressoren und die Ukrainer von der UNO sind sich einig, sie grüßen sich mit den drei Fingern.
    Wir steigen aus und
betreten den dunklen Kasten des Flughafens. Diego sagt mir, was ich sagen soll,
was ich tun soll … Wir gehen auf die Kontrolle zu. Dort steht eine dünne Frau
in Tarnuniform, ihre Wangenknochen sind so kräftig wie die eines Pferdes, sie
mustert mich. Ich fürchte mich vor diesem Blick und senke den Kopf. Ich halte
mich dicht an der kleinen Schar von Zivilisten, die zusammen mit uns warten,
alle mit kugelsicheren Westen über ihren Anoraks. Niemand fühlt sich in
Sicherheit, dies hier ist das letzte Schlupfloch aus der Belagerung und
vielleicht das gefährlichste. All die Militärs scheinen uns zu hassen. Sie sind
Kriegshaie, kennen jede Gemütsregung ihrer Gefangenen, in dieser Stille
herrscht eine gespannte Atmosphäre, sie wittern unsere Angst, und vielleicht
amüsieren sie sich. Es sieht so aus, als könnten sie uns von einem Moment zum
nächsten abknallen. Wir gehen vorsichtig weiter, ohne ruckartige Bewegungen.
Alle haben wir Angst, dass etwas passieren könnte, häufig nehmen die Serben den
Flughafen unter Beschuss, obwohl er von ihren Leuten besetzt ist. Im Spiegel
einer herausgerissenen Glastür sind die Häuschen von Butmir zu erkennen, mit
schlaffen Dächern auf den Balkengerüsten. Plötzlich schreien alle los. An der
Front von Dobrinja sind Kampfhandlungen im Gange. Die Luft ist eiskalt, ich
beuge mich über das Baby. Seine Nase ist so klein wie einer meiner Fingernägel
und scheint ein Eisklümpchen zu sein. Ich hauche es an. Diego streichelt mir
den Rücken, ein mechanisches, erschöpftes Reiben. Dann beugt er sich über das
Baby und sieht es an.
    » Du brauchst überhaupt keine Angst zu haben .«
    Ich weiß nicht, ob er
das zu seinem Sohn sagt oder zu mir oder zu sich selbst.
    Auf einmal sollen wir
aufstehen und losrennen. Ein hünenhafter Blauhelmsoldat eskortiert uns zum
Rollfeld. An der nunmehr glaslosen Tür nach draußen sucht ein Milizionär unsere
Namen auf der Liste. Es ist eine rasche Prozedur, wir gehen mit gesenktem Kopf
vorbei wie Vieh. Ich gebe ihm meinen Pass mit der Geburtsurkunde vom
Krankenhaus darin. Der Milizionär hat nicht einmal bemerkt, dass ich etwas auf
dem Arm trage, unentwegt starrt er zur entgegengesetzten Seite und wendet den Kopf
immer wieder zur Sperre auf dem Rollfeld, direkt unter dem Tower, wo

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