Das schönste Wort der Welt
euch …
»Und bei wem bist du
sonst?«
Er nimmt noch einen
Schluck.
»Ich bin hier bei
meinen Freunden.«
Doch im Grunde ähneln
wir durchaus Gespenstern, die sich in einem metallischen Brunnen spiegeln und
dem Leben nachtrauern.
Ich ging in den
Waschraum, nahm den Rucksack ab, setzte mich auf ein Klo und gab Gojko ein
Bündel mit tausend Mark.
»Wozu brauchst du
das?«
Er ließ sich auch
unsere Pässe geben.
»Bin bald wieder da.«
Ich schüttete den
Inhalt des Rucksacks in einen Kissenbezug. Dann ging ich zu Askas Bett.
»Da, bitte.«
Mit einer müden
Bewegung zog sie den mit Mark vollgestopften Bezug an sich und versteckte ihn
unter der Bettdecke.
Das Baby lag in einem
Metallbett, weit weg von der Mutter. Die Hebamme hatte ihm ein
zusammengerolltes Tuch gegen den Rücken geschoben und war gegangen. Es hatte
sich noch nicht bewegt. Explosionen setzten ein, in immer größerer Nähe, dann
die einzelnen Salven der Katjuschas. Das Kleine war an diesen Krach gewöhnt.
Auch Aska schlief, mit dem Kopf unter der Decke. Ein paar Mal wachte sie auf
und bat um etwas zu trinken.
Eine andere Frau kam,
jünger als die erste, und erklärte uns, wie wir mit dem Baby umgehen sollten,
wie wir es wickeln sollten. Sie zog die dünnen Beinchen, die kaum größer waren
als Diegos Finger, aus dem Strampelanzug und zeigte uns, wie wir die Windeln
anlegen sollten. Im Krankenhaus hatten sie allerdings keine, sie gab uns
Verbandmull und Watte. Das Kind hatte vorerst keinen Hunger. Es hatte sich
drehen und wenden lassen wie ein Lumpenbündel und noch kein einziges Mal
geschrien. Nun lag es, mit dem Tuch im Rücken, wieder allein in seinem Bett.
Das Mädchen fragte, ob die Mutter gedenke, es zu stillen, ich schüttelte den
Kopf. Sie sagte nichts und betrachtete Askas Körper im Bett, sie war an
entkräftete Frauen gewöhnt. Sie verlangte einhundert Mark von uns und
entschuldigte sich, es war ihr unangenehm, Geld von uns zu nehmen, doch mit
Sicherheit war nicht sie es, die es bekam. Sie kehrte mit einer bereits
angebrochenen Packung Milchpulver und einem gebrauchten Fläschchen wieder. Aus
Glas. Dem ersten heilen Glasgegenstand seit langem. Ich steckte alles in den
Rucksack.
Jetzt kam uns der
Krieg zu Hilfe. Niemand hatte uns Fragen gestellt, niemand schien daran
interessiert zu sein, das Baby noch länger in diesem Krankenhaus zu behalten,
das so nah an der Feuerlinie lag. Wir waren zwei Ausländer, wir konnten die
Stadt verlassen, aus der keiner von ihnen herauskam. Das Mädchen fragte uns,
wie das Kind reisen würde.
»Mit dem Flugzeug …
Wir warten darauf.«
»Sind Sie
Journalisten?«
»Ja.«
Sie gab uns einen
Brief an ihre Schwester mit, die sich in einem Auffanglager in Mailand befand.
Die Explosionen
hatten wieder begonnen und der verzweifelte Weg der Rettungswagen, der
behelfsmäßigen Fahrzeuge, die die Verwundeten aufsammelten. Inzwischen war es
taghell, doch das Kind wachte nicht auf.
Schließlich sah Diego
es doch an.
Von diesem Blick
sollte ich Pietro erzählen, alles andere wegschieben und ihm von diesen Augen
erzählen. Es sind die Augen eines Hundes, die auf einen anderen Hund gerichtet
sind. Da haben wir nun also eine Weihnachtsszene, unsere, entrückte Blicke,
zitternde Hände, fliehende Gedanken.
Gojko ist mit einem
Mann zurückgekommen, der uns behilflich ist, ein falsches Gesicht wie das eines
Überlebenden, der im Holiday Inn Informationen an Journalisten verkauft. Am Nachmittag wird die
Transportmaschine eines Hilfsfluges nach Italien zurückkehren, er war beim UNO -Kommando und hat es geschafft, unsere
Namen auf die Passagierliste setzen zu lassen. Er gibt uns unsere Pässe und
eine Geburtsurkunde des Kindes, das wird für die Ausreise genügen. Ich lese,
ihre Wörter und unsere Namen. Neben dem Wort otac , Vater, steht Diegos Name und neben majka , Mutter, steht meiner.
Dieses so geruchlose
Wunder, scheint mir, kann gar nicht wahr sein.
Ich umarme Gojko.
»Wie hast du das bloß
hingekriegt?«
Niemand hatte eine
Krankenkartei ausgefüllt, weil es keine Krankenkarteien mehr gibt. Unsere Pässe
und das Geld haben genügt.
Gojko lässt sich
schütteln wie ein Sandsack.
»Manche Dinge sind
jetzt ganz einfach.«
Für nichts auf der
Welt hätte er das getan, er ist einer, der sich auf dem Markt mit den
Schwarzhändlern prügelt, mit den Hyänen, die sich am Krieg bereichern. Aber für
mich hat er es getan. Nun will er mich vermutlich nie wiedersehen.
Aska sitzt im Bett.
Sie presst den mit Geld
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