Das schönste Wort der Welt
als Erster seine Nase in deinem Geruch vergrub?
Ich sehe Diego an,
doch Diego sieht die beiden nicht an.
Sollte ich ihm das
etwa sagen, Dein
Vater hat dich nicht angesehen, er sah das Lamm an, das keinen Bauch mehr hatte
und den roten Kopf matt auf dem Kissen?
Dieser Blick war so
intensiv, dass Diego mich und meine Verlegenheit gar nicht bemerkte. Sie waren
allein, schienen allein zu sein, daran erinnere ich mich noch. Sie waren weit
zurückgezogen.
Auch sie sah das Kind
nicht an, sie hat es kein einziges Mal angesehen.
Nun kam es mir
wirklich so vor, als stünde ich an einem Bett, das nicht meines war, und
belauschte zwei Liebende, die sich Treue schwören.
Alles hatte sich am
Fußende dieses Bettes zugetragen, das Ankleiden des Kindes, das notdürftige
Bad. Aska hatte die Beine angezogen, vielleicht wegen des Schmerzes, den sie
ausgestanden hatte. Die Frau im Kittel verabschiedete sich und tätschelte ihr das
angewinkelte Bein, Aska lag leicht erhöht, sie hatte etwas unter sich, eine
Stahlschüssel für die Nachgeburt.
Die Frau sagt, sie
werde zur Kontrolle noch einmal vorbeischauen.
Endlich gibt mir Gojko
das Kind, es ist, als würde man sich einen Meteoriten zureichen.
Auch ich sauge den
Duft ein. Den Duft einer alten Seele, die wiedergeboren wird, die zurückkehrt,
um mit den Menschen zu hoffen. Ich weiß noch nicht, ob es mein Kind ist, ob es
mein Kind sein wird. Ich werde auf den Tag warten müssen, an dem es mich tauft,
in der dritten Grundschulklasse. Doch so lange behalte ich es. Und ich bin
schon der Wolf. Ich bin der Scharfschütze, der auf das Schneefeld zurückkehrt,
um sich das Loch im Nacken anzusehen.
Den weißen Vorhang
räumen sie dann weg, die Frau mit den Kniestrümpfen und dem Kittel zieht die
Schattenleinwand fort. Nur das Baby ist da, runzlig wie ein alter Apfel und in
einem Wollstrampler steckend, der wie eine Filzsocke aussieht.
Ich betrachte es in
dem unsicheren Licht, während der Sand in meinem Körper wieder aufsteigt und
die Organe an ihren Platz zurückkehren. Da spüre ich mein Herz wie eine Zunge aus
Feuer und Schmerz zwischen meinen Rippen.
Sollte ich Pietro
vielleicht davon erzählen? Von diesem Herz, das er mir zurückgibt, das ich
nicht mehr spürte und das nun anklopft?
Die Frau kommt
zurück, drückt Aska auf den Bauch und greift mit den Händen unter die Decke. Da
stößt das Lamm auch die Plazenta aus.
Als die Frau die
Stahlschüssel unter Askas Körper hervorzieht, sehe ich ein blutverschmiertes
Bein und für einen Augenblick ihre Schamspalte, ein blutiges Loch wie das von
Gojkos Zahn. Es lässt mich kalt. Das Leben hat die gleichen Farben wie der Krieg,
Schnee und Blut. Laufgräben im Schlamm wie Gedärme.
Als die Frau an mir
vorbeigeht, sehe ich für einen kurzen Moment diese graue Haut. Das Lamm hat nun
ausgedient, so wie diese Schleimhaut, die das Kind am Leben hielt und jetzt dreckiger
Abfall ist.
Aska müsste mir
leidtun, aber ich habe nur Angst, dass sie es sich anders überlegt, dass sie
anfängt zu schreien, sie mache nicht mehr mit.
Sie hat ihre Familie
verloren, vielleicht will sie das Kind ja doch behalten.
Ich habe nur Angst,
sie könnte Sperenzchen machen, darum schaue ich sie an, ich will sehen, ob sie
unruhig ist, denn ich bin misstrauisch. Ich habe den Geruch des Kindes gespürt,
den Geruch von Diegos Blut.
Ich höre noch einmal
Velidas Worte, sie fallen aus ihren verstörten Augen, von denen ich Nacht für
Nacht geträumt habe. Mach es nicht so wie ich, Gemma. Lass dich nicht vom Tod
einschüchtern. Kämpfe, pack das Leben beim Schopf .
Das Geld … Ich muss
ihr das Geld geben, all die Mark in kleinen Scheinen, wie sie es verlangt hat,
wie die Prämie, die man den Scharfschützen für jedes getroffene Ziel gibt. Auch
sie wird sich ein Auto kaufen, einen BMW Cabrio, und damit verschwinden.
Ich bin wieder ich.
Für mich ist der Krieg vorbei. Das blaue Kind ist begraben. Diegos Sohn lebt.
Das Lamm, dieses zweitrangige Geschöpf, soll weggleiten wie soeben die
Plazenta, ein dreckiger Schlauch.
Es gibt keine
Gesetze, es gibt keine Gerechtigkeit. Es gibt nur den Mut.
Gojko brüllt, wenn er
nach Hause komme, werde er ein Gedicht schreiben, nach so langer Zeit werde er
eins schreiben und damit die Geburt dieses Kindes feiern. Betrunken deklamiert er:
Ich
habe die Füße eines Schweins und den Schwanz einer Maus,
das
Leben reißt mich hoch wie einen fliegenden Elefanten …
Lebt
wohl, ihr Gespenster, heute bin ich nicht bei
Weitere Kostenlose Bücher