Das schönste Wort der Welt
Baby auf dem
Bauch schlief ich ein.
Ich war zum Fenster
gegangen, hatte es geöffnet und mich mit dem Kind auf dem Arm hinausgelehnt, um
mich hinunterzustürzen. Das war ein gutes Experiment, ich merkte, dass ich nicht
die geringste Absicht hatte, es zu tun, vom zweiten Stock aus stirbt es sich
schlecht, dachte ich. Auf der Straße waren Leute, und mein Blick blieb an zwei
Jugendlichen hängen, die an einem geparkten Motorroller lehnten und sich
küssten.
Ich träumte von
Sarajevo, die Stadt setzte sich wieder zusammen wie in einem rückwärtslaufenden
Film, die Trümmer fügten sich wieder aufeinander, die Scherben wurden wieder zu
unversehrten Scheiben, zu Fenstern, zu Schaufenstern. Die Rollläden in der Baščaršija wurden wieder hochgezogen, die Bögen
der Nationalbibliothek strebten wieder himmelwärts, und das Mädchen, das in den
wieder hergerichteten Räumen die Bücher ausgab, kehrte zurück. Zurück kehrten
auch die Rufe der Muezzins von den unversehrten Minaretten. Zurück kehrte der
Sommer und dann der Schnee, die angeheizten Kamine, die Parade für Tito, die
Majoretten in ihren türkisblauen Kleidchen, zurück kehrte die Berghütte an der
Jahorina, und zurück kehrte Diegos Blick, sein erster Blick zu mir.
Im Schlaf hielt ich
ihn fest wie ein Messer, wie eine Lilie. Er war eine weiße Wunde ohne Blut.
Am Morgen dachte ich,
dass ich es nicht schaffen würde.
Doch ich schaffte es,
ich steckte Pietro in das Tragetuch und ging aus dem Haus. Ich hatte die
Visitenkarte wiedergefunden, die des Capitano der Carabinieri.
Ich musste etwas
warten, dann bat man mich herein.
Giuliano schaute auf.
Ich setzte mich. Er
sagte etwas über das Baby, sagte, es sei gewachsen, lächelte.
»Was kann ich für Sie
tun?«
Ich bat um ein Glas
Wasser.
Er ließ eine Flasche
bringen. Ich trank.
Er auch. Wieder
lächelte er.
»Sie machen durstig.«
Erst dort, vor diesem
Mann in Uniform, der ein bisschen dick und ein bisschen kahl war, begann ich zu
weinen. Es war ein langes, langsames Weinen, dem er stumm zusah.
Später sagte er mir,
dass er sich an diesem Tag in mich verliebt hatte, denn auch er wartete auf ein
Schicksal, das er noch nie gesehen hatte und das er nun plötzlich sah.
Er war es, der mir
half, Diegos Leichnam nach Italien zu überführen.
Ich beschloss, nicht
nach Dubrovnik zu fahren, mir lag überhaupt nicht daran, dieses Meer noch
einmal zu überqueren. Ich hatte das Baby, und meinem Vater ging es nicht gut,
zwar erholte er sich allmählich von der Lähmung, doch er war nicht mehr der
Alte. Wir waren wie künstliche Menschen in einem Science-Fiction-Film, unseres
Selbst beraubte, von Maschinen bewohnte Mutanten.
Wenn wir uns den
gewohnten Kuss gaben, klang das jetzt anders, wir stießen jeweils gegen den
Schmerz des anderen, fest im Körper, in den Armen, die wie aus Eisen waren. Es
war uns sogar unangenehm, uns ins Gesicht zu sehen. Dann schon lieber Außenstehende
ansehen, Nichteingeweihte.
Die Wohnung war
krank, schien jedoch von Leben erfüllt zu sein, weil die Putzfrau kam, weil
mein Vater immer Blumen und frisches Obst mitbrachte und er versuchte, alles
mehr oder weniger so wie früher zu machen. Er kaufte ein, wiegte das Baby, gab
dem Hund Wasser und räumte meinen Kühlschrank auf. Doch sobald er konnte und
Pietro schlief, setzte er sich vor Diegos Fotos und starrte sie lange an,
weltvergessen. Er saß auf dem Sofa und fixierte traumverloren eine Pfütze oder
eine Reihe Füße. Wenn er meine Anwesenheit bemerkte, senkte er den Blick. Sein
Auge öffnete sich allmählich wieder, war jedoch im Verhältnis zu dem anderen
immer noch verschoben und wirkte unheimlich.
Ich schwamm auf dem
Schmerz. Eine dünne Membran hielt mich an der Oberfläche. Wie diese Insekten,
die auf den Blättern von Wasserpflanzen leben, habe ich keinerlei Bodenkontakt.
Auch bei mir brachen kleine Lähmungen aus. Manchmal spürte ich eine meiner
Brüste, einen Fuß oder ein Stück Schulter nicht mehr, es waren die Teile meines
Körpers, die Diego berührt hatte, es war der Gedanke an seine Hand, die sich
auf meinen Körper legte. Auf natürliche Weise betäubte ich diese Stellen, wie
das Zahnfleisch beim Zahnarzt.
Ich las ein Buch über
Insekten, diese Lektüre gefiel mir, weil sie nicht versuchte, mich zu
unterhalten, und sie durch andere Lebensformen von mir erzählte. Insekten, die
auf Baumrinden erstarrten und der Angst entsprachen, indem sie sich verwandelten,
die Farbe wechselten und sich totstellten.
Aus
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