Das schönste Wort der Welt
ihm, zu mir zu kommen. Entschuldige dich. Entschuldigung . Er war mutterseelenallein. Und es
war das erste Mal, dass wir gemeinsam auf die Welt sahen, auf die, die uns
genommen worden war, und auf die, die übrig blieb.
Diego hat die Reise
seines Sohnes nicht mitgemacht, das Erklimmen der Jahre eines heranwachsenden
Kindes. Er ist mit seinem Objektiv auf eine Klippe geklettert. Um was zu sehen?
Sein Fotoapparat war
so zertrümmert wie sein Kopf, und er war leer. Diego hatte aufgehört, Filme
einzulegen, ihn interessierte das alles nicht mehr. Ihm genügte die Geste, das
Symbol. Sein letztes Bild wird wohl dieser Fluss gewesen sein, der ihm
entgegenkam, als er hinabstürzte.
Das große Dorf dort
unten ist hässlich, voller Zement und Verkehr. Das Meer zwischen dem Festland
und der Halbinsel Pelješac ist von
den roten Bojen der Austernzucht gesäumt.
Die Sonne steht schon
sehr tief, wir fahren auf der Küstenstraße, die manchmal ins Landesinnere
dringt und sich für ein kurzes Stück zwischen Feigenbäumen und Rosmarinbüschen vom
Meer entfernt. Zuweilen kommen wir durch Ortschaften, kleine Fischerhäuser,
Glockentürme, vom Salz zerfressen wie Leuchttürme, Läden mit Schuhen für die
Klippen. Wir müssen langsam fahren, wir stecken im Stau, Leute, die anhalten
und sich begrüßen. Es ist Samstag, morgen ist Feiertag. Wir sehen ein Brautpaar,
das Lärmen der Hochzeitsgesellschaft verfolgt uns bis zur entgegengesetzten
Spitze der Halbinsel, wo sich der Landungssteg befindet, an dem die Boote zu
den Inseln ablegen.
Die letzte Fähre nach
Korčula ist schon weg, wir sehen sie auf dem
metallischen Abendmeer davonfahren.
Gojko und ich stehen
auf der Mole. Er trägt seine verspiegelte Sonnenbrille, die er jetzt zwar nicht
braucht, die er aber auch nachts aufbehält, seine kräftigen Arme stehen vom
Körper ab.
Dieses Schiff, das
ohne uns abgefahren ist, stimmt uns traurig, doch nur für kurze Zeit. Es nimmt
eine Last mit sich fort, etwas, das sich ablöst, ohne dass wir noch etwas
anderes tun könnten, als aus der Ferne zu grüßen. Vielleicht macht uns dieses
Schiff, das das Meer hinter sich lässt, nach so langer Zeit frei. Es gibt uns
die Freude von etwas Verlorenem zurück. Eines Irrtums. Wir lachen wie zwei
Verrückte. Gojko macht eine ausdrucksstarke Bewegung, er schlägt sich mit der
Hand auf den ausgestreckten Arm, als wollte er sagen hau ab, mach, dass du wegkommst,
Schiff. Mach, dass du wegkommst, Leben.
Pietro hat sich das
T-Shirt ausgezogen und läuft mit einem Handtuch um die Hüften los, er wirft
sich ins Meer und taucht wieder auf. Der Strand an der Mole ist weiß und duftet
nach Rosmarin, schade, dass es fast dunkel ist und das Wasser voller Schatten.
Pietro fängt eine
Krabbe und bringt sie uns, er sagt, sie sei dick und man könnte sie ja essen,
doch dann dreht er sich um und lässt sie wieder ins Meer.
Er ist dünn, mein
Sohn, und der Abend macht ihn noch dünner.
Wir sitzen am Strand
und schauen ihm beim Schwimmen zu, und für einen Augenblick sind wir eine
Familie. Vielleicht wendet dieser letzte, unverhoffte Abend die Schicksale.
»Wir beide hätten
heiraten können«, sagt Gojko. »Aber du wolltest mich ja nicht«, er hat die
Sonnenbrille immer noch auf.
Ich lache und knuffe
ihn mit dem Ellbogen.
»Bist du glücklich
mit deiner Frau?«
Er nickt, sie haben
eine wunderbare Tochter, dazu ein kleines Restaurant am Meer, und sie haben
einen Kulturverein gegründet, der ihr Leben ausfüllt.
»Und du?«
Ich sage ihm, dass
ich Giuliano liebe.
»Ich hänge sehr an
ihm.«
Es fällt mir schwer,
das zu sagen, ich schlucke. Mir kommt der Satz hohl vor, ich fühle ihn kaum,
vielleicht weil die Reise lang war, weil sie ein Durchlaufen war. Ich sage Ich hänge an ihm , muss aber an eine Angel denken, an
einen Eisenhaken im Bauch eines Fisches. Pietro ruft uns: »Na los, kommt ins
Wasser!«
Gojko springt auf wie
ein athletischer Bär. Er hat am Steuer gesessen, hat geschwitzt. Doch
wahrscheinlich liegt es an diesem Bei-mir-Sein an diesem Abend und an dem
verpassten Schiff, das ihn zu seiner Frau und seinem Leben zurückbringen
sollte, dass er Lust bekommen hat, sich ins kühle Wasser zu stürzen, um unsere
matte Sehnsucht zu vertreiben.
Dann werfe auch ich
mich ins Wasser.
Giuliano wäre
pikiert, denn ich bin beileibe nicht die Frau für nächtliche Bäder. Ich habe Angst
vor Seeigeln, vor dem schwarzen Wasser, vor einem Schwarm, die mich von unten
anfrisst. Ich habe Angst, mich zu erkälten,
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