Das schönste Wort der Welt
leere, aufgestapelte Blumentöpfe
und ein Schneewittchen aus Gips mit weit offenen Armen, das uns erwartet.
Pietro fragt, ob die
sieben Zwerge auch da seien.
Gojko sagt, seine
Tochter wollte sie nicht, sie könne sie nicht ausstehen, sie nenne sie alte Kinder .
Vor der Veranda
einige Eisentische, ein barfüßiges junges Mädchen mit zu zwei Schwänzen
festgezurrten Haaren und einem Gazehemd über dem Badeanzug befestigt mit
Klemmen die Tischdecken.
» Zdravo, Gojko .«
» Zdravo, Nina .«
Er gibt ihr einen
Kuss, zieht an einem ihrer Schwänzchen und sagt, sie solle uns was zu trinken
bringen.
Wir setzen uns unter
dem Rohrgeflecht ins Freie. Man sieht das Meer, ein vom Licht verschlungener,
blauer Streifen. Aus den Dünen weht uns eine leichte Brise an. Das Mädchen
kehrt mit einem Tablett zurück und stellt uns eine Karaffe Wein hin, ein Schälchen
mit Oliven, eines mit grünen Peperoni und eines mit Melonenkernen, dazu für
Pietro eine Büchse Coca-Cola.
Gojko kommt mit einem
kleinen Mädchen auf dem Arm zurück, das sich wie ein Krake an ihn klammert.
Ich sehe nichts als
ein Paar Beine, ein gestreiftes Frotteehöschen und einen Kopf mit blonden, fast
weißen Locken, der sich im Körper des Vaters vergräbt.
»Das ist Sebina.«
Gojko schaut mich
nicht an, und ich schaue ihn nicht an. Ich schaue auf den Tisch, zu einer
Ameise, die über die Wachstuchdecke krabbelt. Es ist ein scharfkantiger
Schmerz, wie wenn man sich den Ellbogen stößt.
»Hallo … Sebina.«
Ich berühre sie,
streichle ihr Bein. Ein dünnes, viel zu dünnes Bein. Jene stämmigen Beine mit
den kleinen Muskeln fallen mir ein.
Pietro kitzelt sie
ein wenig, sie zappelt und tritt zu, zeigt ihr Gesicht aber noch immer nicht.
»Sie ist gerade
aufgewacht.« Gojko setzt sich mit seiner Tochter auf dem Arm zu uns und sagt,
deshalb sei sie jetzt ein bisschen überdreht, er gießt mir ein und füllt dann
sein Glas.
Wir trinken mit dem
gesichtslosen kleinen Mädchen zwischen uns.
»Es ist schön hier.«
»Nichts Besonderes.«
Gojko redet über die
Speisekarte und die Grillgerichte, die sie abends zubereiten, er gehe fischen,
und falls Pietro Lust habe, könne er ihn heute Nacht zu den Kalmaren mitnehmen.
Sie vermieteten auch Zimmer, allerdings nur ein paar, an anspruchslose
Touristen.
Während er spricht,
krault er unentwegt den Kopf seiner Tochter. Es fällt mir nicht leicht, diese
schwere Hand anzuschauen, die mit einem Hunger in diesen blonden Locken
versinkt, mit einer Mühe.
An einem offenen
Fenster flattert eine Gardine, eine weiße Gardine, die sich aufbläht und Luft
holt, wie ein kleines Segel.
Ich betrachte dieses
weiße, friedenstiftende Atmen, das froh stimmt und das Gefühl vermittelt, dass
die Zeit vergangen ist und sich neu gebildet hat, dass sie neuen Samen und
neues Haar hinterlassen hat.
Sommermusik klingt
von dort herüber.
Das Mädchen hat den
Kopf gehoben und schaut Pietro an.
Sie hat nicht die
geringste Ähnlichkeit mit Sebina. Sie ist bildschön, mit der etwas starren
Erstauntheit mancher Puppen, ihre Augen sind kristallklar, die Lippen voll, das
Gesicht ist leicht gebräunt. Sebina hatte bleigraue Augen, Lippen so krumm wie ein
Angelhaken, und ihre Ohren ragten zwischen den Haaren hervor.
Pietro streckt die
Zunge heraus und wackelt mit den Brauen und den Ohren, wie er es von Großvater
Armando gelernt hat.
Die Kleine lacht,
vorn fehlt ihr ein Zahn, sie hat ihn gestern Abend verloren und zeigt uns nun
die Lücke. Sie spricht kein Italienisch, aber ein paar Brocken Englisch. Sie
erzählt uns, sie sei traurig, weil sie ihren Zahn nicht mehr finde. Pietro
schlägt ihr vor, ihn gemeinsam zu suchen.
» We go and look for the tooth. «
Das Mädchen rutscht
vom Schoß des Vaters und greift nach Pietros Hand. Ich schaue ihnen nach,
meinem Sohn und dieser zweiten Sebina, die nicht aus Sarajevo zu sein scheint,
sie sieht aus wie ein Mädchen aus Holland oder aus Deutschland, wie eine kleine
Touristin.
Wie alt wäre mein Bijeli biber heute? Hätte sie olympische Medaillen
um den Hals hängen oder wäre sie so ein extremer Kettenraucher geworden wie ihr
Bruder?
Ich müsste
Zärtlichkeit für dieses kleine Mädchen aufbringen. Ich dachte, ich würde gerührt
sein, doch ich bin nur deprimiert und sogar gereizt. Womöglich steigt mir
dieser Wein zu Kopf und stößt hart in ein hartes Herz. Doch dieses Mädchen,
diese zweite Sebina, ist für mich nicht die Trägerin irgendeiner Wiedergeburt.
Sie ist ein anderes Mädchen,
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