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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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verkaufen, was sie können, die
Kegel in die Luft werfen.
    Wie die, die man im
Sommer sieht, man bleibt stehen und schaut ihnen zu, während man ein Eis leckt.
Wandernde Blicke auf den Zufall gerichtet, in der bunten Menge, eine Einsamkeit
in der Masse, ein Lied, ein Streicheln. So hätten sie gelebt, ohne Gewalt,
müßig, den Nachgeschmack der Hölle vertreibend mit diesem in Selbstbetrachtung
versunkenen Leben, mit Musik.
    Dieses Leben hätte
ihm gefallen, immer unterwegs, das Objektiv seiner Leica als das einzige
Zuhause.
    In Amsterdam hätten
sie Halt gemacht, Aska hatte dort Freunde unter den Musikern. Sie hätten in
einem Hausboot auf dem Fluss gewohnt, so wie wir in unserer Anfangszeit. Ja, er
hätte an einem Fluss neu angefangen.
    Sie hätten eine Blume
unter das Fenster des Prins Hendrik Hotels gelegt, aus dem der mit Heroin
vollgepumpte Chet Baker gestürzt war.
    Mein Vater sagte
einmal zu mir: »Ich hätte nicht gedacht, dass du so stark sein würdest.«
    Ich antwortete, es
müsse sein, ich hätte doch das Kind.
    Aber eigentlich
spürte ich, dass Diegos Tod mir nichts von der Zukunft genommen hatte. Auch
jetzt, da ich auf diese Straße schaue, bin ich eigentlich nicht erschüttert,
ich spüre nur ein unterdrücktes Pochen tief im Bauch, ein Unbehagen.
    Sie waren ohne mich
weggefahren, die zwei, auf dem Motorrad im Lagunendunkel dieses Landstrichs
schlenkernd, der vom Abschlachten durchzogen war wie ein von getöteten Thunfischen
rotes Meer.
    Ich war der Wal
gewesen, der starke Rücken, auf dem Diego sich niedergelassen hatte wie ein
Vogel, der darauf wartet, dass der Wind ihn wieder auf seine Reise bringt. Und
bevor er abflog, brachte er mir in seinem Schnabel als Entschädigung einen
Fisch, den er für mich aus dem Meer geholt hatte.
    Dieser Fisch döst
jetzt vor sich hin, mit einem Fuß aus dem Fenster und dem anderen auf dem
Armaturenbrett. Gojko sagte zu mir Lass ihn in Frieden, als Mutter gehst du
einem wirklich auf die Nüsse . Ich fragte ihn Wie weit ist es noch? Er antwortete Nicht mehr weit .
    Die Neretva fließt
jetzt weit unten, die Berge sind ausgedörrter, und die Vegetation verändert
sich, hier beginnen, dicht wie hohes Moos, die Büschel der Mittelmeer-Macchia,
ihre Ginstergarben, ein paar wilde Geranien. Die Felsen sind heller, fast schon
weiß.
    Noch wenige
Serpentinen, und da ist das Meer.
    Blau und grenzenlos
wie jedes Meer, den Blick überschwemmendes Wasser, überfluteter Himmel. Meer
von oben. Die Inseln in der Tiefe sehen aus wie eine zerrissene Kette von Steinen
und Figuren, die sich getrennt haben, ohne sich jedoch ganz vom Hals der Erde
zu lösen. Das Meer. Das blaue Blut dieser Felsen, dieser Wälder.
    Pietro strahlt, er
will anhalten und ein paar Fotos schießen. Wir steigen an einem Aussichtspunkt
aus.
    Der salzige Wind
bespritzt mir das Gesicht mit meinen Haaren, er ist so stark, dass ich die
Augen schließen muss. Die Sonne ist eine makellose Kugel, leicht
dunstgebleicht, sie steht etwas tiefer als wir am Himmel, sie sinkt.
    An dieser Bucht muss
der Junge aus Genua gestanden haben. Er stieg am Ende vom Motorrad und ging los,
ohne Deckung zu suchen, ohne Zickzackkurs, ohne die Angst zu fallen.
    Vom
Meer aus schießen sie nicht , wird er gedacht haben. Er wird sich an sein Lamm mit den roten
Haaren geschmiegt haben.
    Es ist
vorbei, Aska, du bist frei.
    »Kommst du, Ma?«
    Pietro will jetzt
schnell hinunter, er will baden gehen, bevor die Sonne ganz weg ist. Er bleibt
neben mir stehen und schaut mich an, während ich hinuntersehe.
    Er ist unruhig, er
kennt diesen Blick.
    Wie oft haben er und
ich zusammen still unser Leben betrachtet, ohne ein Wort zu sagen. Beim ersten
Mal war er etwa drei Jahre alt, auf einem Spielplatz hatte ihn ein
Schaukelbrett getroffen und an der Stirn verletzt. Ich zog ihn zum Brunnen, er
weinte und trat um sich. Als ich ihn festhielt, tat ich ihm weh, ich packte ihn
am Genick. Er riss sich los, während das Blut immer noch lief und sich über
sein nasses Gesicht breitete wie eine rosarote Maske, er beschimpfte mich als gemein und als blöde Kuh .
    Ich ließ ihn los, Bevor du wieder ankommst, musst du dich
entschuldigen .
    Er kletterte auf
einen kleinen Hügel neben meiner Bank. Dort blieb er lange und kratzte mit dem
Schuh auf dem Boden herum. Ich tat so, als würde ich lesen.
    Am Ende war ich es,
die zu ihm ging, Komm
jetzt, es ist schon spät . Darauf hatte er nur gewartet. Er war in dieser Situation ganz
allein auf der Welt, doch sein Stolz verbot es

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