Das schönste Wort der Welt
mit den nassen Haaren.
Doch Angst habe ich
in Rom, Angst habe ich in dem Leben, das mit diesem verpassten Schiff
abgefahren ist. Heute Nacht habe ich keine Angst, heute Nacht habe ich Lust,
wieder eins zu werden. Pietro klettert auf Gojkos Schultern, springt ins
Wasser, schreit und schlägt mit dem Bauch auf. Dann klettere ich hoch, und
Gojko hält mich an meinen weißen, schmalen Fußgelenken. So laufen wir ein Stück
herum, taumelnd im dunklen Meer. Ich bin alt, bin geschlagene fünfzig Jahre
alt, und ich habe noch nie so gelacht.
In einem kleinen
Restaurant mit einer Lichterkette, die auf der Veranda aus Holzpfählen und
Schilfrohr flimmert, essen wir Seeigel und Austern, drücken Zitronen aus. Sogar
Pietro, der noch nie rohe Weichtiere geschlürft hat, isst sie, heute Abend will
er alles kosten, auch den dickflüssigen, dunkelgelben Wein, der nach den Reben
schmeckt, die am Meer wachsen. Danach Salat in kleinen Schälchen und mit
Paprikapulver bestreuten Ziegenkäse. Pietro brennt der Mund, er steht auf, um
sich aus dem Kühlschrank nebenan, der wie ein Traktor rattert, ein Eis zu angeln.
Gojko schiebt die Flasche zur Seite, um mich anzuschauen.
»Ich bin alt«, sage
ich. »Lass mich.«
»Du wirst niemals alt
sein, die Zeit schält die Schönheit nur stärker heraus.«
Der ehemalige Dichter
gießt mir den letzten Tropfen ins Glas, schwenkt die leere Flasche und bestellt
eine neue, diesmal einen Süßen, den Dessertwein, den sie auf den Inseln machen.
Wir gehen zur Mole
zurück, schwanken durch die Dunkelheit. Pietro schlenkert herum wie ein Hund
ohne Leine, er ist völlig geschafft, doch jetzt sagt er, dass er noch bleiben
wolle, dass wir die Flugtickets umtauschen sollten, dass ihm das Meer hier
gefalle, er wolle angeln gehen und surfen.
Er gesellt sich in
der Dunkelheit auf den Klippen zu den Fischern, sie haben ihre Angelschnüre im
Meer ausgeworfen, das sich hartwellig bewegt. Es ist ein starkes Meer heute Nacht,
ein Meer wie Mondland, wie metallischer Schlamm.
Wir wollen im Auto
schlafen, wir denken nicht daran, uns ein Hotel zu suchen. Pietro steigt ein,
streckt sich auf dem Rücksitz aus und schläft sofort ein, wie er es schon als
kleiner Junge getan hat, die Beine zu lang für den Sitz, die Hände unter einer
Wange zusammengelegt, der Mund offen, die obere Lippe dicker als die untere.
Gojko sagt: »Er ist
ein unverdorbener Junge.«
Er wuschelt mir durch
die salzstarren Haare.
»Das hast du gut
gemacht.«
»Ich habe gar nichts
gemacht, das ist sein Wesen.«
Wir gehen bis ans
Ende der Mole, dorthin, wo das Meer beginnt. Wir legen uns auf die Steine, die
die Sonnenwärme gespeichert haben, und schauen auf zum Firmament, zu Sternen,
die durch einen lichterfleckigen Himmel reisen.
Das Schiff ist schon
seit Stunden weg, wir liegen da und trinken diesen friedlichen Himmel. Gojko,
mein Bruder, Diegos Bruder, Gojko, der christliche Kroate, der verrückte
heilige Joseph, Pietros vermeintlicher Vater. Heute Nacht sind wir von Dessertwein
trunkene Kinder, sind wir warme Algen, Spukgestalten aus Fleisch,
Geistererscheinungen aus der Vergangenheit.
Doch jetzt
miteinander zu schlafen hieße, es mit den abgelebten Leben zu tun, mit den
veralberten Hoffnungen. Um jetzt miteinander zu schlafen, wäre ein Mut nötig,
den wir nicht aufbringen wollen. Nicht in der unmittelbaren Nähe dieses unverdorbenen
Sohnes.
Wir setzen uns zum
Schlafen ins Auto, auf die Vordersitze, mit den Füßen draußen. Mein Gojko
schnarcht mit offenem Mund, ich nehme ihm die Sonnenbrille ab, die er nicht
abgenommen hat, und küsse ihn auf die rote, schweißnasse Stirn.
Mein
Lieber , sage
ich, mein
Lieber . Lieb,
weil uns allen das Leben irgendwann genommen wird.
Der Tag ist greller Himmel
Der Tag ist greller
Himmel. Pietro hat sich auf der Fähre abgesondert, er sitzt barfuß auf einer
der salzluftglitschigen Bänke … Die Ray-Ban, sein Gesicht. Er hat ein Bein
angewinkelt und einen Arm daraufgelegt, eine für ihn untypische Pose, die eines
Mannes in Betrachtung des Meeres.
Frisch gebaute Häuser
mit roten Dächern, ein Gewühl von Autos, von kleinen Souvenirläden, Stände mit
Strandlatschen und Badeanzügen, Schilder von Bars und Restaurants, selbstgemalte
Reklametafeln mit dicken Krebsen oder mit der Aufschrift SOBE , Zimmer zu vermieten. Wir fahren die
in den Felsen geschnittenen Serpentinen der Panoramastraße hinauf und auf der
anderen Seite der Insel wieder hinunter.
Der Sitz des
Kulturvereins befindet sich in einer
Weitere Kostenlose Bücher