Das schönste Wort der Welt
ein anderes Leben. Dieses fade, bildschöne Mädchen
interessiert mich nicht. Ich will jenes schiefe, grüblerische Gewittergesicht
wiederhaben, jenes arme Häufchen Unverschämtheit. Heute gefällt mir alles, was ich
verloren habe, alles, was ich nie wiedersehen werde.
»Sie ist schön, nicht
wahr?«
Sie ist viel zu
schön. Sie ist so albern wie dieses Leben danach .
Drinnen herrscht der
Geruch der einfachen Häuser am Meer, der Geruch nach Oregano, nach sauberer
Wäsche, nach Mandeln. An den Wänden Kinderzeichnungen mit dieser Unterschrift,
mit diesem SEBINA von einer Hand, die zum ersten Mal
schreibt.
Ich streife die kühle
Wand eines Flurs und die mit einer blauen Linie eingefasste Rückenlehne eines
Stuhls.
Jetzt habe ich das
Gefühl, dass Gojko mich vorwärtstreibt.
Ich stolpere über
eine Stufe, ohne zu fallen, und komme in ein kleines Wohnzimmer, zwei
abgewetzte Ledersessel, ein Zeitungsständer und an der Wand das alte Bild von
Tito.
»Es ist das Einzige,
was heil geblieben ist.«
Er lacht. »Alles ist
verbrannt, doch der Marschall hat durchgehalten, also habe ich ihn
mitgenommen.«
Seine Augen sind
gerötet, sein Hemd ist verschwitzt und bis zum Bauch aufgeknöpft.
»Ich muss dir noch
was sagen.«
Hinter ihm steht auf
einer niedrigen Bambuskommode ein Foto von ihm mit freiem Oberkörper in einem
Ruderboot, dazu ein Bild von Mirna und Sebina, das Diego gemacht hat. Ich drehe
mich um, eine Glastür trennt den kleinen Wohnraum von einem weiteren Zimmer,
ich sehe ein Fenster, eine wehende, flatternde Gardine. Die Gardine, die ich
schon von der Veranda aus bemerkt habe, ein heller Schleier.
Gojko raucht, er
nimmt einen Zug, dreht die Zigarette auf dem Rand des Aschenbechers, den er in
der Hand hält, und betrachtet die Glut.
Ich spüre etwas in
meinem Rücken, ich kann nicht sagen, was, ein wenig Hitze, ein wenig
Beklemmung, ich senke den Kopf.
Gojko dreht noch
immer seine Zigarette auf dem Aschenbecher.
»Was ist denn los?«
Jetzt weiche ich
zurück. Doch er packt mich, hält mich von hinten fest und drückt mir mit einem
Arm die Luft ab. So hat er es vermutlich auch gemacht, wenn er einen
erschreckten Körper festhielt und ihm mit der anderen Hand die Kehle
durchschnitt.
Ich spüre seinen Atem
in meinem Ohr.
»Verzeih mir, ich
wollte es dir schon am ersten Abend sagen.«
Was hast du mir denn
zu sagen, du Idiot? Was hast du mir zu sagen, was das Leben mir nicht schon
gesagt hat?
Ich komme in das
Zimmer. Ein Paar in die Ecke geworfene Espadrilles, ich schaue auf die nackten
Füße der Frau, die mich erwartet.
Sie trägt eine weiße
Bluse und Jeans, das Haar hat sie mit einer großen Haarnadel zusammengesteckt.
Sie ist viel größer, als ich sie in Erinnerung habe. Oder vielleicht bin ich
inzwischen geschrumpft. Sie ist nicht geschminkt, ist nicht gealtert, die Jahre
haben ihr nur eine Gefasstheit gegeben, die sie früher nicht hatte.
»Ciao, Gemma.«
»Ciao, Aska.«
Ich hebe meinen Arm
an, es ist eine langsame, schwere Bewegung, die die Luft teilt und die Welt
zerschneidet. Ich lasse meine Hand in ihren Händen.
Soll sie meine Hand
ruhig behalten, ich weiß ohnehin nichts damit anzufangen. Mir geht durch den
Kopf, dass dies meine letzte Bewegung ist, dass mein Arm, der sich auf die
hochgewachsene Frau mit den roten Haaren und den grünen Augen zubewegt, die
schön wie ein kaum gealtertes Model ist, auf eine Frau, die die schrille Schale
verloren und nur den Kern ihrer Schönheit bewahrt hat … dass dieser Arm nun der
Schwanz eines Tieres ist, das in eine Falle geraten ist und sich nicht mehr
rührt, es wartet nur noch darauf, dass es verreckt, wach und wachsam.
Die Hausherrin lädt
mich ein, mich zu ihr zu setzen.
Ich höre es nicht,
der Ton ist weg, nur das Flattern der Gardine ist noch da.
Aska öffnet den Mund,
sie hat schöne Zähne, ich betrachte sie, berühre sie beinahe schon, genauso wie
ihre übrige Schönheit.
Sie ist nicht mehr
die alte, hat nichts mehr von ihrer früheren Unordnung. Was hatte ich in
Erinnerung? Einen Menschen, den es nicht mehr gibt. Ein vollgetuschtes, durch
Schminke entstelltes Mädchen, das Trompete spielte und ein bisschen zu
auffällig lachte.
Wie oft habe ich sie
mir tot vorgestellt.
Auch lebend habe ich
sie mir vorgestellt. Aber nicht so. Sondern mit dem verschwommenen Bild einer
leidenden, oberflächlichen Frau.
Gojko und sie haben
also geheiratet. Aska erzählt mir gerade, dass sie sich nach dem Krieg in Paris
wiedertrafen, in der Wohnung
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