Das schönste Wort der Welt
gemeinsamer Freunde, einem Treffpunkt bosnischer
Flüchtlinge, sie halfen sich gegenseitig. Die Liebe kam später.
»Hörst du noch
Nirvana?«
»Ja, manchmal.«
»Kurt Cobain ist
tot.«
»Ja, schon lange.«
»Er hat sich
erschossen. Man braucht ganz schön viel Mut, um sich zu erschießen.«
»Nicht, wenn man am
Ende ist.«
Auch Diego ist tot.
Auch er war am Ende. Tja, es ist nun mal der blöde Wolf, der stirbt. Das
pfiffige Lamm tanzt und bringt sich tanzend in Sicherheit.
Das letzte Album von
Nirvana heißt In
Utero . Ich
weiß noch, dass ich es mir gekauft habe. Das Leben ist lächerlich. Es kommt dir
zuvor. Es verarscht dich.
Die Gardine bewegt
sich. Ich höre nichts, ein weißer Riss durchzieht mich. Eine saubere Wunde ohne
Blut, die mein Gesicht zerteilt.
Diese Reise war ein
einziger Schwindel, alles war ein einziger Schwindel, die Fotoausstellung, die
Spaziergänge durch Sarajevo, das verpasste Schiff.
Die Frau vor mir ist
schlicht und elegant. Das Erscheinungsbild einer Frau von heute.
Gleich wird sie mir
sagen, dass sie nie aufgehört habe, an ihren Sohn zu denken, dass sie ein Recht
darauf habe, ihn in die Arme zu schließen, ihm die Wahrheit zu sagen.
Und ich kann es ihr
nicht verwehren. Kann gar nichts tun, kenne die Gesetze dieses Landes nicht,
bin weit weg, an einem Ort, von dem ich nicht einmal mehr weiß, wie er heißt.
Schlaff vor Sehnsucht bin ich an Bord einer Fähre gegangen und einem Unbekannten
gefolgt, einem, von dem ich nichts weiß, einem Dichter, der ein Krieger geworden
ist, ein Mörder. Ich brauchte Freunde und Erinnerungen. Mein Leben genügte mir
nicht. Ich brauchte jemanden, der mich zwang zu leiden, einen Zeugen, einen,
der dabei war. Ich war von mir aus zurückgekommen, aus eigenem Antrieb.
Gojko lächelt sie an,
nimmt ihre Hand. Neben Aska sieht er viel besser aus, sogar weniger plump,
feinfühliger und ruhiger.
Sie sind nicht zu mir
nach Italien gekommen. Sie haben mich herkommen lassen. Bestimmt hat sie zu ihm
gesagt Ich
will meinen Jungen wiederhaben, ich will ihn wiedersehen, ich will das Kind des
Mannes sehen, den ich geliebt habe und der jetzt tot ist. Ich halte das nicht
mehr aus, ich habe lange darüber nachgedacht, doch jetzt will ich ihn in die
Arme schließen und ihm die Wahrheit sagen, egal, was passiert.
Ich muss Giuliano
anrufen, ich brauche ihn hier, ich muss Pietro schützen. Ich muss vollständig
bleiben.
»Traust du mir
nicht?«
»Was willst du?«
»Ihn sehen.«
»Geh ans Fenster,
dann siehst du ihn.«
»Ich habe ihn mit
Sebina reden sehen, mit seiner Schwester.«
»Halt den Mund, sei
still.«
Sie weint, doch ich
könnte sie umbringen, denn jetzt wittere ich etwas, einen schlammigen Grund,
den Geruch eines Elends, das mir nicht neu ist.
»Ihr braucht Geld,
ist es das?«
Sie öffnet den Mund,
dann schüttelt sie heftig den Kopf. Sie sieht verzweifelt aus.
»Hör auf, mich zu
beleidigen.«
Die Gardine bewegt
sich am Fenster. Ein Gecko sieht uns zu, reglos an der Wand mit seinem
altertümlichen, durchscheinenden Körper.
»Und wieso bist du
nicht tot?«
Sie schaut mich ohne
jedes Befremden an.
»Ich weiß es nicht.«
Ich stehe auf und
ziehe meinen Rock vom Hintern weg. Wo ist meine Jacke, meine zerknautschte
Jacke? Wo ist meine mit allem möglichen Mist vollgestopfte Handtasche, mit
Pässen, mit Flugtickets und mit diesem Lippenstift, der mir in die Falten fährt?
Sie fragt, ob ich Weintrauben möchte, ob ich mich frischmachen möchte, wir
könnten hier schlafen, Pietro und ich, könnten am Strand Fisch essen, Gojko
könne sehr gut grillen.
Plötzlich spüre ich
einen unsäglichen Hass, eine Distanz, die sofort in Hass umschlägt. Fahr zur
Hölle, du hast mir mein Leben geklaut, du Schlampe, du hast den besten Teil von
mir geklaut. Du bist mit Pietros Vater abgezogen, er ist tot, und du bist hier,
du bist die ganze Zeit über hier gewesen. Ich nehme meine Tasche auf, meine
Brille, mein kleines Altsein. Vor einem Jahr bin ich in die Menopause gekommen,
das war mir so was von egal, denn mein Zyklus war mir nie zu irgendetwas nütze.
Mit dem Blut versiegte auch meine Wut auf mich selbst.
Ich hatte diese Frau
während der Belagerung in einem Krankenhausbett zurückgelassen, als sie
Markscheine zählte. Anfangs hatte ich Angst, sie könnte wieder auftauchen.
Sämtlichen Bettlerinnen der Welt, sämtlichen Flüchtlingsfrauen aus dem Osten, die
an den Ampeln standen, gab ich Geld. Es ist ein automatischer Reflex, mich
umzudrehen und nach meiner
Weitere Kostenlose Bücher