Das schönste Wort der Welt
gehört, er sieht sie an der Tür
auftauchen. Sie hat ihr Kleid wieder angezogen, das schwarze, glitzernde
Konzertkleid. Er sieht sie nicht ganz, sieht nur ihre Beine und ein Stück
Stoff. Er möchte ihr zurufen, sie solle die Tür schließen, sich verstecken und
aus dem Fenster springen, das zum Wald zeigt. Er versucht, den Mund
aufzumachen, zu sprechen, schluckt Salz und bringt keinen Ton heraus. Seine
Stimmbänder sind wie harte Schlingen, wie Eisendrähte, die nicht vibrieren. Es
ist der Instinkt, der Instinkt, der ihm befiehlt, sich mucksmäuschenstill zu
verhalten und nicht einmal Luft zu holen. Denn inzwischen zieht eine schwarze
Meute an ihm vorbei, die zusammen mit dem Geruch nach Gebratenem, nach auf den
Boden geflossenem, heißem Öl hinaufsteigt. Stiefel mit Schnürsenkeln und
schweren Sohlen wie Bergschuhe hasten die Stufen hoch. Eine Hand streift den
Vorhang, hinter dem er sich versteckt, und greift in das Plastik.
Alles geht viel zu
schnell, als dass er hinterher sagen könnte Das war so . Da werden Splitter und Fetzen von
Bildern sein, die nicht mehr verschwinden werden, die wie Haut an ihm haften
werden. Angst ist ein Narkotikum, das erstarren lässt und die Dinge dehnt.
Für ihn geschieht
alles in diesem Spalt. In dieser Öffnung zwischen Vorhang und Wand. Er sieht
die Männer, die sich auf dem Gang verteilen, hört sie an die Türen hämmern,
hört Schussgarben, Glasscherben fallen herunter und Mauerstückchen. Jetzt sind
sie auch bei Aska. Er sieht ein Stück von ihr, ihre Füße in den gestreiften
Strumpfhosen. Er hört sie schreien.
Es ist das erste Mal,
dass Aska die Wölfe sieht, sie weicht zum Fenster zurück. Fragt sich, woher sie
kommen, ob sie aus dem Wald heruntergekommen sind … Sie sehen aus wie der Tod, tragen
diese Masken. Sie sprechen ihre Sprache, verlangen ihre Papiere. Sie füllen das
Zimmer mit ihren Körpern, beschwert mit doppellagig über der Brust gekreuzten
Patronengurten. Einer versetzt dem einzigen vorhandenen Stuhl einen Tritt und
setzt sich breitbeinig auf den Tisch, sie vermutet, dass er der Anführer ist,
auf der Brust trägt er ein Totenkopfwappen. Im Spalt seines Mundes steckt die
Zigarette, die er sich angezündet hat, er sieht Aska an. Sie ist ein
widerspenstiges Lamm, die Angst macht sie aggressiv. Sie schreit die Männer an,
sie sollten verschwinden. Fragt sie, wer sie seien und warum sie ihr Gesicht
verhüllten. Sagt, sie wolle mit jemandem von der Polizei sprechen.
Der Anführer schiebt
seine Sturmmaske hoch und holt ein junges, eckiges Gesicht hervor. Augen hell
wie Glas. Er dreht sich um und lacht zusammen mit dem Fettkloß neben ihm.
Diego sieht nur die
Schritte, die Stiefel auf der Höhe, wo sie die Hosen der Tarnuniformen
einschnüren, er sieht noch mehr herunterfallen, eine Schublade und den Stuhl,
auf dem seine Jacke hing. Nun schlagen sie sie, er hat gehört, wie sie aufschrie,
sich verteidigte. Jetzt jammert sie nur noch. Sie ist zu Boden gestürzt, er
sieht ihre Hand, die wegrutscht, und einen Stiefel, der auf diese Hand tritt
und sie zerquetscht. Er hört eine Stimme, die ihr befiehlt aufzustehen.
Diego muss heraus, um
sie zu beschützen, muss sagen Ich bin ein italienischer Fotograf, und das hier ist meine Freundin,
lasst sie in Frieden . Vielleicht reicht es ja, ihnen mit dem Presseausweis zu drohen, er
steckt in der Jackentasche. Er muss nur an diese Jacke herankommen. Er stellt
sich vor, wie er rausgeht, Aska am Arm nimmt und den Presseausweis schwenkt wie
ein Kreuz.
Sie fragen sie, was
sie in dieser Pension zu suchen habe, und sie nehmen ihr die Papiere ab, jetzt
nennen sie sie muslimische Schlampe.
Steh
auf, du muslimische Schlampe.
Aska zieht sich hoch.
In ihrer Hand sticht es wie von Nägeln, sie kann sie nicht mehr schließen. Sie
hat begriffen, dass es keine Polizei mehr gibt, dass es keine Ordnung mehr
gibt, dass das hier der Krieg ist. Jetzt nimmt sie die Außenwelt wahr, die
Schüsse von der Straße, den Lärm in den anderen Zimmern, die Schreie … Ihr
fällt auf, dass auch draußen kein Licht mehr brennt, sie haben wohl die
Leitungen gekappt. Sie hört Klagelaute, Menschen, die wie sie in der Falle
sitzen, im Schlaf überrascht, in der Normalität dieses Außenbezirks. Sie weiß
nicht, ob das nur ein Überfall ist oder ob schon die ganze Stadt besetzt ist.
Ob allen das Gleiche passiert, so wie bei einem Stromausfall. Auch ihrer Freundin
Haira, auch ihrer Großmutter und ihrem kleinen Bruder. Sie spürt, wie sich
Weitere Kostenlose Bücher