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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Pfirsichsekt. Er hat ihn im Supermarkt gekauft, zusammen mit dem
Schaumbad, dem Nudelsieb, dem Radicchio und den Kerzen.
    Die Walnusssauce ist
köstlich. Er hat auch einen kleinen Braten gemacht, einen Schmorbraten, weil
der Backofen kaputt ist.
    Er sieht mir beim
Essen zu, kommt mit dem Glas näher, möchte noch einmal anstoßen, ich weiß
nicht, wie oft wir das schon getan haben, ich habe den Überblick verloren.
    Ich frage ihn, ob er
sich ein bisschen ausgeruht habe. Er sagt, er könne nicht mehr schlafen, er sei
zu glücklich, zu sehr aus dem Häuschen. Weil unser Leben beginne und er voller
Jubel, voller Dynamit sei. Ich sage ihm, er solle sich beruhigen, er erschrecke
mich, so könne es ja nicht weitergehen. Eines Tages werde er aufwachen und mich
so sehen, wie ich bin, normal und sogar ein bisschen unsympathisch.
    Er antwortet, das sei
unmöglich, er liebe mich.
    »Ich mache dir jede
Menge Kinder.«
    Ich lache, schüttle
den Kopf, sage ihm, wir hätten nicht eine Lira, wir könnten uns nicht mal einen
Hund leisten.
    »Wie gedenkst du dich
in Rom durchzuschlagen?«
    Er wollte sich nach
Fotoagenturen umsehen, nach Hochzeiten. Oder bei alten Damen anklopfen. Das
hatte er in mageren Zeiten schon öfter getan.
    »Sie brauchen alle
ein Foto für den Grabstein und setzen sich mit ihren Ohrringen in Positur. Und
machen mir Kaffee.«
    Ich schaue ihn an,
seinen dünnen Schlips, der ihm wie eine Leine vom Hals hängt, er ist aufgeregt
wie ein Hund, der seinem Herrchen weggelaufen ist. Man könnte ihn für einen
Oberschüler halten. Wir werden nirgendwohin gehen, wir werden zusammen mit
diesem Kahn untergehen.
    »Wie schaffst du es
nur, immer so fröhlich zu sein?«
    »Ganz einfach,
Traurigkeit ödet mich an.«
    Er schreit auf: »Ahhh!«,
und sackt zusammen, als hätte man ihn erschossen. Ich habe die Beine bewegt,
und er hat das nackte Fleisch über dem Spitzenrand des Strumpfes erspäht,
deshalb zieht er jetzt eine bühnenreife Show ab, er senkt den Kopf und brüllt,
ich hätte beschlossen, ihn umzubringen, dieser Anblick sei zu viel für einen
Moribunden. Er kriecht herbei, zieht mir die Schuhe aus, massiert mir einen
Fuß, küsst mich durch den Nylonstrumpf, säuselt, wenn wir all diese Kinder
haben wollten, müssten wir uns sofort an die Arbeit machen, denn er brauche Zeit,
viel Zeit, die Arbeiten würden so langsam vorangehen wie bei der U-Bahn von
Genua.
    Wir legen uns auf das
mit Sprüchen und mit durchbohrten Herzen und mit spritzenden Pimmeln
beschmierte Kunstledersofa.
    Später schaue ich Diego
von unten bis oben an, ich liege noch, er hat mir einen seiner Pullover
gegeben, weil mir kalt ist, ich habe die Beine angezogen, die Knie unter der
Wolle. Er läuft barfuß auf diesem Boot herum, das für mich inzwischen der schönste
Ort der Welt ist. Er hat abgeräumt, das Geschirr in den Ausguss gestellt. Er
ist nackt, trägt nur noch den Schlips, er hat ihn an seinem Hals vergessen, zum
ersten Mal kommt er mir vor wie ein Mann. Wenn wir uns lieben, wenn wir nicht
mehr reden, wenn ich nur noch seine Seele spüre, habe ich Vertrauen zu ihm.
    Ich schließe die
Augen und weiß, dass er mich fotografiert, dass er sich ganz langsam zu mir
gebeugt hat und mir nun ein Auge stiehlt, eine Hand, ein Stückchen Mund, ein
Ohr.
    Es ist fast völlig
dunkel um uns her, die Kerzen sind eine nach der anderen in ihrer weichen
Pfütze versunken. Jetzt gehe ich, denke ich, ich schnappe mir meine Strümpfe
und meine Schuhe. Doch ich rege mich nicht und betrachte weiter die immer
schwächer werdenden Lichter. Die Zeit sitzt mir nicht mehr im Nacken, sie
breitet sich, träge, in meinem Bauch aus. Ich bleibe und weide selig, wie eine
verträumte Ziege bei Sonnenuntergang.
    Am frühen Morgen kam
ich in die Wohnung meiner Eltern, um postwendend wieder zu gehen. Meine Mutter
wartete mit einem angespannten, niedergeschlagenen Gesicht auf mich.
    »Wer ist dieser
Junge?«
    »Ein Junge eben.«
    »Weißt du auch, was
du da tust?«
    »Nein, Mama, ich weiß
überhaupt nichts.«
    Ich ging die
glitschigen Stufen zwischen den Linden hinunter und fand Diego auf dem Fluss.
Jetzt kam es mir normal vor, dass er hier wohnte. Die Stadt dort oben schien
weit weg zu sein, kleine Schwärme dunkler Enten zogen auf der Strömung sitzend
vorbei. Wenn es regnete, war es wie in einem U-Boot, die Fensterscheiben
ertranken im Wasser. Ich war gern dort unten, hatte mich an die Schluchten aus
Schilfrohr und an das rabiate Kreischen der Möwen gewöhnt. Manchmal

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