Das schönste Wort der Welt
rutschig. Das Flusswasser ist gelblich, es wickelt sich gierig um kleine
Inseln aus Grün, die vom Grund aufragen und an denen Abfall hängen bleibt. Der
Lärm ist oben geblieben, weiter weg, auf dem Markt. Hier unten hört man nur das
Gluckern des Wassers und das rostige Kreischen einiger Möwen. Ich schaue mich
um, sehe nichts.
»Bist du sicher, dass
es hier ist?«
»Nein.«
Wir gehen am Ufer
entlang, kehren um. Unter einer Brücke steht eine umgedrehte Kiste, die Mauer
ist rußig von einem erloschenen Feuer.
»Gott lebt.«
Ich drehe mich um. Er
hat es an der Mauer gelesen, zwischen anderen Sprüchen steht dort rot und
wuchtig: GOTT
LEBT .
»Glaubst du daran?«
»Woran?«
»Dass Gott hier unter
dieser Brücke ist.«
Ich zucke die Achseln
und seufze: »Das klingt wie ein Codewort aus dem Gangstermilieu.«
Diego glaubt nicht an
Gott. Bei einem seiner nächtlichen Anrufe hielt er mir einen irrwitzigen
Vortrag und sprach von einer großen Energie, die das Universum wie ein
Heiligenschein umgebe, eine Art fließende Haube. Hässliche Seelen könnten nie zu
ihr gelangen, sie seien alt, von zu vielen irdischen Aufenthalten besudelt, und
sie würden fast augenblicklich sterben, zu Staub zerfallen, wieder aufgesogen
von der kosmischen Finsternis. Schöne Seelen dagegen würden, in die Höhe
gerissen, blitzschnell nach oben fliegen. Dort erholten sie sich von der Mühsal
des Lebens, und wenn sie könnten, versetzten sie der Erde kleine, wohltuende
Impulse. Wahrscheinlich hatte er in dieser Nacht gekifft. Ich für mein Teil bin
wie die meisten Menschen, ich glaube nur bei Gelegenheit an Gott, nur wenn ich
Angst habe.
Hinter der Brücke ist
der Uferweg ordentlicher, dort gibt es ein Sportzentrum mit zwei Tennisplätzen
und einen kleinen, verlassenen Kinderspielplatz, im Schilf versteckt. Im Wasser
liegt ein vertäutes Boot.
»Da wären wir.«
Es ist das Lokal
eines Freundes, den er auf einer Reise kennengelernt hat, seit einigen Monaten
ist es geschlossen … Es war ein bisschen was zum Rauchen im Umlauf, und mein Freund hatte
da ein paar Scherereien . Er sagt, in der schönen Jahreszeit werde das Lokal wieder öffnen,
doch jetzt sei schon Ende September, sein Freund überlasse es ihm als
Ausweichquartier, solange er es aushalte, solange nicht zu viel Feuchtigkeit
vom Fluss heraufsteige. Ich sage nichts, kann es nicht glauben. Der Schlüssel
öffnet ein großes, verrostetes Vorhängeschloss, die Holztür braucht einen Stoß
mit der Schulter. Drinnen ist es dunkler als draußen, die Fenster sind
staubtrüb und grün von Schimmel. Der große Raum ist mit einem Parkettimitat aus
Linoleum ausgelegt. In der Mitte ein Bartresen unter einer großen Lampe in Form
eines Steuerruders, auf dem Boden aufgetürmt Tische, Bänke und Stühle aus
Metall. Ich reibe mir die Arme, mir ist jetzt schon kalt. Diego ist entzückt,
er schiebt die Eisenhaken von den Bullaugen, auf dem Fluss kommen zwei
Kanufahrer vorbei.
»Willst du etwa
wirklich hierbleiben?«
»Gefällt es dir
nicht?«
Ich werfe einen Blick
auf den durchsichtigen Barkühlschrank ohne Inhalt und auf ein Kunstledersofa,
das mit Kugelschreibersprüchen beschmiert ist. Diego bückt sich und liest ein
paar Schweinereien vor. Er lacht wie ein Irrer.
»Das ist doch der
Hammer hier!«
Er ist hellauf
begeistert, seine Augen im dunklen Kreis seiner Augenringe glänzen fiebrig.
»Hast du wieder
angefangen, irgendwelche Drogen zu nehmen?«
Er ist nicht
beleidigt. Sagt ja, er sei high von mir, ich sei besser als Heroin, weil die
Wirkung nicht nachlasse, sie bleibe im Blut, und mich könne man nicht mit
Strychnin strecken. Er wolle auf der Stelle mit mir schlafen. Ich sage, er
solle mich nicht anrühren und mir vom Leib bleiben. Dieser Ort mache mich krank,
ich wisse nicht, wohin ich mich setzen solle, alles sei feucht und dreckig.
Er packt seine Sachen
aus, Bücher, einen Kassettenrecorder und wenige, zwischen die Fotoapparate
geknüllte Kleidungsstücke. Er hat wieder ein Geschenk für mich: ein Glas ligurische
Walnusssauce, eingewickelt in ein Paar öltriefende Unterhosen.
Er trällert vor sich
hin, während er einen Platz sucht, wo er seine Sachen unterbringen kann. Er
räumt seine Kleidung auf das Abstellbrett für Gläser. Ist schon barfuß auf dem
von altem Dreck verkrusteten Linoleum. Er geht eine kleine Treppe hinunter und
kommt mit einem Schrubber und einem Eimer Wasser wieder hoch, das er auf den
Boden kippt. Ich ziehe die Beine an, er wischt auf. Da sitze ich
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