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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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das Cover einer richtig coolen CD .
    Für mich hat es eine
greifbare Traurigkeit. Es ist ein sonderbar stoffliches Bild. Für mich steckt
in diesem roten Fleck mehr Krieg als in allen anderen Kriegsfotografien.
    Ich strecke die Hand
aus, um es zu berühren, um das körnige Loch in der Mitte zu berühren. Ich
schüttle den Kopf.
    »Ich glaube, das ist
nicht von Papa, sie haben sich geirrt.«
    Diego erschien auf
seine Art in Rom, mit dem Motorrad, im Morgengrauen, nach fünfhundert
Kilometern Autobahn in der Nacht. Er hatte mit seinem Mückenkörper einen LKW nach dem anderen überholt, Unmengen
von Scheinwerfern, und hielt nicht ein einziges Mal an. Er klingelte an der
Sprechanlage meiner Eltern, in der Hand einen Strauß Sonnenblumen, die er bei
einem nächtlichen Händler gekauft hatte. Ich ging im Nachthemd runter auf die
Straße, das erste Tageslicht schwamm im Dunkel, die Rollläden der Bar waren
noch geschlossen.
    »Ich habe mich schon
sortiert!«
    Ich nehme die
Sonnenblumen und lasse sie einfach so hängen, zwischen meinen verschränkten
Armen. Ich bin wütend, verwirrt. Erst am Vortag bin ich aus Genua abgereist.
Ich habe noch nicht einmal meine Sachen ausgepackt, und er ist schon da, mit
vom Helm plattgedrückten Haaren und von der Kälte fleckigen Wangen.
    »Du kannst nicht bei
mir wohnen, das weißt du ja wohl. Meine Trennung war erst vor ein paar Monaten,
ich kann jetzt keinen anderen Typen bei meinen Eltern anschleppen.«
    Er schaut sich um.
    »Und wer soll dieser
andere Typ sein?«
    Er lächelt: »Ich habe
schon eine Bleibe, ich bin unabhängig.« Es habe ihm nicht gefallen, mich in
einem so heiklen Moment meines Lebens allein zu lassen, sagt er, das Gesicht
lammfromm. Ich trete ihn gegen das Schienbein, und er lacht, weil ich mir
wehgetan habe, ich trage Flipflops, während er Beinschützer aus Hartleder hat,
für Biker.
    Er schaut nach oben
und winkt. Ich folge seinem Blick und sehe meinen Vater am Geländer der
Terrasse lehnen, er ist im Schlafanzug und raucht. Mit der Zigarette in der
Hand grüßt er zurück.
    Unten fuchtelt Diego
mit den Armen.
    »Hallo.«
    »Hallo.«
    »Ich bin’s, Diego.«
    »Ich bin Armando, ihr
Vater. Wie war die Fahrt?«
    »Zügig.«
    Ich mache meinem
Vater ein Zeichen, damit er wieder im Haus verschwindet. Doch er kommt im
Pyjama und in den Pantoffeln herunter, die ich ihm zum Geburtstag geschenkt
habe, er wirft die Kippe in die Morgenröte und kommt zu uns. Sie geben sich die
Hand. Mein Vater dreht eine kleine Runde um das Motorrad.
    »Triumph Bonneville
Silver Jubilee, erstklassige Wahl.«
    Dann sollte ich
erfahren, dass die beiden während meiner Ehe schon oft am Telefon miteinander
gesprochen hatten. Über mich, über Fotografie, über Reisen. Sie waren sich
sympathisch, jetzt schauen sie sich an, und man sieht sofort, dass sie sich gut
leiden können. Dass aus dieser Morgenröte eine Liebe entsteht, noch eine.
Vielleicht ist das so einfach, weil das Leben so schräg ist. Weil Diego von
klein auf Halbwaise ist und mein Vater nie einen Sohn hatte. Er hatte nur
diesen Schwiegersohn, den er nie so richtig verdaut hat, er blieb ihm auf
halbem Weg im Hals stecken wie ein Räuspern.
    Diego fragt ihn, ob
er das Motorrad ausprobieren und eine Runde drehen wolle. Mein Vater ist schon
drauf und dran, er fängt an, seinen Mantel zuzuknöpfen, den er über dem
Schlafanzug trägt. Ich blitze ihn mit den Augen an. Er lässt sich anblitzen,
sagt Was
soll’s , er
könne die Runde ja auch ein andermal drehen, in der richtigen Montur.
    Die Bar öffnet, und
mein Vater besteht darauf, uns zum Frühstück einzuladen. Neben ihm im Pyjama
und in Pantoffeln gehen wir über die menschenleere Straße. Wir warten darauf,
dass der Kaffeeautomat heiß wird und der Junge am Tresen die Croissants auf die
Tabletts legt. Diego isst, er hat Hunger. Mein Vater trinkt nur einen Espresso,
wir rauchen noch eine Zigarette. An einen Stehtisch gelehnt, schauen wir durch
die Glasfront auf die Straße, auf die ersten Bewegungen des Tages. Mein Vater
sagt: »Wie schön.«
    »Was denn, Papa?«
    »Wenn was entsteht.«
    »Also, wo soll das
nun sein?«
    »Unten am Fluss.«
    Wir verlaufen uns
hinter einem Markt. Diego hat einen zerknitterten Zettel mit einer Adresse und
ein Schlüsselbund in einem Briefumschlag dabei, beides hat er von einem Freund,
einem Musiker. Wir gehen die großen Travertinstufen zum Uferdamm hinunter, an
Moosflecken und an Flaschen nächtlichen Kampierens vorbei. Unten ist es kälter
und

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