Das schönste Wort der Welt
zu sehen,
ihn dabei zu erwischen, wie er im Dunkel einer Hauswand herumknutscht, wie er
eine andere ableckt und sie sich besabbern, wie wir uns besabbert haben. Ich
habe Angst davor, doch irgendwie wünsche ich es mir auch. Um aus dieser
Vorhölle herauszukommen, um ihm mitten auf der Straße einen Fußtritt verpassen
zu können und ihm ins Gesicht zu schreien, dass ich recht habe.
Doch er ist da, egal,
ob allein oder in Begleitung. Immer er, seine Wollmütze, sein hageres Gesicht.
Und sein langer, schiefer Körper. Er winkt und läuft zum Motorrad. Der
Schulterriemen seiner Tasche zerteilt diagonal seinen leicht gekrümmten Rücken.
Wir setzen uns an den
Tisch. Da sind unsere vier Ellbogen, dicht beieinander wie jeden Abend. Unser
Tisch ist groß, mindestens zwei kleine Rotznasen hätten daran Platz. Aber niemand
macht hier irgendwas dreckig. Wir sind wohlhabend, steril und sortiert. Nach
dem Essen ist im Handumdrehen alles wieder sauber und geräuschlos. Wir stellen
unsere Teller in den kleinen Geschirrspüler. Wir sind schon viel zu
wohlerzogen, viel zu rücksichtsvoll. Ich klappe den Geschirrspüler zu, die rote
Kontrolllampe leuchtet auf, das Raunen von Dingen, die im Dunkeln sauber
werden, setzt ein.
»Du wirst schon
sehen, früher oder später findest du eine andere und machst ihr ein Kind.«
Ich sage das mit dem
Rücken zu ihm, eingesperrt in meinen dünnen Körper, in meinen schwarzen Kaschmirpullover.
»Ich könnte das
verstehen, ich mag dich wirklich sehr.« Ich lächle, greife mir an den Kopf, an
meine neue Frisur, mit der ich aussehe wie ein nasses Küken.
Er packt mich am
Nacken und dreht mich kraftvoll zu sich.
»Ich mag dich nicht
sehr, du blöde Kuh. Ich liebe dich.«
Alle unsere Freunde
kriegen jetzt Kinder, ihre Wohnungen riechen nach aufgehängter Wäsche, nach
Grießbrei und Fencheltee, ich erfinde Ausreden, um sie nicht besuchen zu
müssen. Rede mir ein, dass sie langweilig sind, dass sie nach Bratendunst und
Hausmief stinken. Ich kaufe mir ein neues Kleid. Geld auszugeben verschafft mir
kleine Schübe von Befriedigung. In den Umkleidekabinen der Geschäfte ist
Magerkeit eine Tugend, die Stoffe schmiegen sich an meinen flachen Bauch, und
es macht mir Spaß, auf den Sachen herumzutrampeln, die ich anprobiere und dann
doch nicht nehme.
Ich bin sexy,
vielleicht mehr als früher. Wenn ich mich schminke, stelle ich mir zuweilen
vor, dass mir jemand ins Gesicht schlägt, mit einem großen Boxhandschuh, der
mir die Nase zerschmettert und meine Augen in Schwarz ertränkt.
Wir gehen ins Kino,
in Konzerte und in Restaurants, wo Schwule und Künstler verkehren, Leute, die
an sich selbst denken. Ich gebe meinen Armani-Mantel an der Garderobe ab und
gehe auf meinen hohen Absätzen zum Tisch.
Wir haben einen guten
Wein und ein gutes Abendessen bestellt. Ich stelle mir ein Gemetzel vor, einen
Terroristen, der durch die Drehtür kommt und mit einem Maschinengewehr wild in
der Gegend herumballert … auf die Tische, auf die Wand mit den edlen Flaschen.
Spritzer von Wein und Blut. Ich stehe auf, um zu sterben. Den Bauch von
Schussgarben durchsiebt. Ich sterbe lachend wie Joker in Batman .
Ich beschließe, zur
Psychoanalyse zu gehen.
Ich spreche mit einem
Mann, ich will keine Frau. Ich fürchte, sie könnte fruchtbar sein.
Der Mann sagt nicht
viel, und das wenige reicht mir, um zu erkennen, dass er mich nie verstehen
wird.
Ich glaube nicht an
Intelligenz. Nicht mehr. Ich glaube an die Natur, an ihre Zyklen.
Der Mann redet mit professioneller
Gesetztheit, er will nicht aufdringlich sein, will mir nur Hilfsmittel an die
Hand geben. Sie nützen mir nichts. Ich durchschaue die ganze Prozedur.
Durchschaue, dass das eine Methode ist, eine angewandte Regel, die
normalerweise funktioniert. Nicht bei mir. Ich denke an Granatapfelbäume, an
die roten Kerne, ich denke an eine werfende Hündin, öffne die Beine ein wenig,
um diesen Wurf hinauszulassen.
Freie Assoziationen,
von denen ich ihm erzählen müsste. Doch ich habe keine Lust dazu.
Ich stehe auf, gehe
und komme nicht wieder.
Diesen Mann brauche
ich nicht.
Manchmal gehe ich zu
den Müllcontainern und den umgestürzten Kisten hinter dem Markt. Vielleicht
finde ich ja ein ausgesetztes Baby. Ich lache in mich hinein, fest eingewickelt
in meinen schwarzen Mantel. Ich drehe gerade ein bisschen durch. Und das finde
ich gar nicht so schlecht.
Ich werde darüber
hinwegkommen, irgendwann werde ich aufhören, daran zu denken. Es gibt viele
Leute, die keine
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