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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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ehrlichen und schrecklichen Satz.
    »Ich liebe Ludmina …
Aber falls sie wieder zurückgeht, ich weiß nicht. Wir haben uns so viel Leid
aufgehalst, das gar nicht unseres war.«
    Sie sieht mich mit
diesem blonden, netten und ahnungslosen Gesicht an. Diesem vielleicht in den
letzten zwei Jahren gealterten Gesicht.
    Es ist
ja nicht wahr, dass du eines dieser Kinder adoptierst. Du adoptierst das Leid
der Welt. Es ist ein Indikator deiner Unfähigkeiten .
    Das fünfte Gespräch
verläuft besser. Ich habe gelernt, ehrlich zu sein. Ich weine, rede nicht. Die
Psychologin sagt, Weinen sei in Ordnung.
    Nach einer Woche rede
ich doch. Über meine Mutter, ich erzähle, dass ich sie nie nackt gesehen habe,
dass sie mir ein Deodorant in die Turnschuhe sprühte und mich der Einfachheit
halber von Plastiktellern essen ließ. Ich weine wegen nichts. Wegen dieser
Plastikteller, wegen dieser Sterilität.
    Nach zwei Monaten
sage ich frei heraus, dass die Adoption für mich eine Notlösung sei. Und dass
ich mir nicht sicher sei, ob ich jedes beliebige Kind gernhaben könne. Ich habe
Gefallen an der Wahrheit gefunden, sie schmeckt besser. Frecher. Ich sage, dass
ich Angst habe. Diego zu verlieren. Weil er jünger ist als ich, weil ich
diejenige bin, die unfruchtbar ist, er jedoch eine ausgezeichnete Spermaqualität hat. Ich erzähle von meinem Leidensweg
voller Nadeln und schwarzer Eizellen. Ich weine nicht mehr, ich sehe mich an.
    Heute ist Diego
derjenige, der weint. Er zittert und hustet seinen rauen Husten.
    Die Psychologin lässt
uns allein, damit wir uns wieder fangen können. Als sie zurückkommt, bietet sie
uns Bonbons an. Wir kauen gummiartige Lakritzkugeln, sie tun uns gut.
    Diegos Hand liegt in
meiner. Wir sind wie zwei Kinder. Kleine Kinder, die sich im Kindergarten
begegnen und sich mit einer Zuneigung lieben, die viel größer ist als sie.
    Ich sehe Diego an und
sage: »Ich möchte ein Kind mit seinen Augen und seinem Nacken.«
    Ich sehe die
Psychologin an und sage: »Gibt es das, Ihrer Meinung nach?«
    Die Psychologin mit
ihrem kräftigen, fürsorglichen Körper nickt: »Ja, das gibt es.«
    Ich umarme sie. Heute
ist sie meine Mutter. Die richtige. Die, die mich adoptiert hat.
    Beim nächsten Mal
spricht Diego von seinem Vater. Er erzählt von einem Maschinenraum und von
einem Landungssteg voller Sägemehl.
    Beim letzten Gespräch
sagt die Psychologin In diesen Kindern findet man mehr, weil sie mehr zutage fördern. Du,
Gemma, wirst Diegos Nacken finden. Und du, Diego, wirst deinen Vater finden . Sie sagt, dass wir gelernt hätten,
tiefer zu schürfen.
    Ich gehe eng an Diego
geschmiegt. Ich weiß nicht, wohin wir gehen. Wir besuchen unsere alten Orte,
das Boot, das jetzt eine neumodische Bar ist, und nichts ist mehr da. Das
Kunstledersofa mit den schweinischen Sprüchen, auf dem wir uns so oft geliebt
haben, ist nicht mehr da. Dafür weiße Parkettstreifen. Wir essen Bresaola.
Voller Liebe weinen wir vor diesem trockenen, dunklen Fleisch. Unser Fleisch
ist lebendig und rot. Ich schaue auf den Fluss hinaus. Er ist wie immer, gelb
und wütend. Ich bin nicht mehr unfruchtbar. Meine Hände sind weich. Diego sagt: Wir
haben noch das ganze Leben vor uns.
    Wir gehen nach Hause.
Vor uns ist ein Nacken. Das Kind ist zum Greifen nah.
    Die Psychologin hat
jetzt Vertrauen zu uns, sie beruhigt uns. Es sei kein Sprung ins Dunkle. Es
gebe einen Entscheidungsspielraum und Orientierungsgespräche. Diego sagt Nein, keine Auswahl . Das erste Kind, das das Zimmer
betritt, das erste, das uns ansieht, soll es sein. Kinder sucht man sich nicht
aus wie Fisch auf dem Markt.
    Wir sind ein Vater
und eine Mutter. Wir sind bereit.
    Der Abschied erfolgt
in einer Pizzeria. Es war die dreckigste Pizza unseres Lebens, die keimigste:
Mozzarella mit Scheißdreck. Wir weinen alle drei. Die Psychologin sagt: »Mir
sind noch nie zwei so nette, junge Leute begegnet, so ehrliche.«
    Unser Antrag wurde
abgelehnt. Wir sind für die Adoption eines Kindes ungeeignet. Diegos
Strafregister ist nicht sauber. Dieser glatte, schwammige Schnüffler hat in der
Vergangenheit gewühlt, diese schlaffe, stumpfsinnige Qualle ist uns in die
Quere geschwappt.
    Mein Vater hat
Mispeln mitgebracht, Diegos Lieblingsfrüchte. Er wäscht sie, zerteilt sie und
sagt: »Lasst uns doch einfach auswandern. Nach Island.«
    Diego steht am
Fenster. Ich betrachte seinen Nacken.
    Ich bin erwachsener
geworden. Es ist Unsinn, doch ich habe das unbestimmte Gefühl, dass etwas auf
uns zukommt, und

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