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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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diese Zuversicht ist an diesem Abend wirklich absurd.
    Gojko hat heute
schlechte Laune. Er wirkt älter, als er ist, und schlurft zögernd auf eine
bereits greisenhafte Art, mit vom Körper abgespreizten Armen, die großen Hände
geöffnet. Wie sieht er aus? Wie eine der alten Mühlen, die verlassen am Ufer
der Drina stehen. Ein gedrungener Körper mit dunklen Ziegeln und kaputten,
altersschwachen Flügeln, die trotzdem noch auf den Himmel warten, auf den Wind.
    »Ich hätte nicht für
möglich gehalten, dass wir so weit ins Böse zurückfallen, dass meine Generation
anfangen könnte, das Böse zurückzuverfolgen, die Toten des Zweiten Weltkriegs
auszugraben und die aus den Schlachten mit den Türken, bloß um sich in Hass zu
wälzen, ich kann es einfach nicht glauben, wir hatten doch das Leben vor uns …
ein U2-Konzert, ein Mädchen, das uns liebte und das uns zugehört hätte, was
fehlte uns denn? Warum haben wir uns für diese schlechte Saat entschieden, für
vergiftete Brunnen und verweste Leichen?«
    Wir sitzen an der
Bushaltestelle unter einem milchigen Plastikdach, nebeneinander auf einer Bank
wie drei müde Touristen, die sich verlaufen haben, sich aber nicht darum
scheren, weil sie es nicht eilig haben. Hinter uns sieht der runde Metallkörper
eines Hallenbades mit seinem Arrangement aus schwarzen Röhren aus wie das
Gerippe eines Urtiers. Die Straße vor uns ist breit und kahl, kaum matschig vom
Regen, der schon vor einer Weile aufgehört hat. Ein Auto kommt vorbei, ein
alter Opel, und lässt eine schwarze Wolke zurück. Pietro hält sich die Hand vor
den Mund.
    Gojko grinst und
sieht Pietro an.
    »In Rom lebt es sich
gut, was?«
    »Ja«, brummt Pietro.
»Einigermaßen.«
    Gojkos Stimme hat
eine Heiserkeit, die an den Wörtern klebt und sie bedrohlich klingen lässt, in
seinem Gesicht scheint mir Ärger auf dem Vormarsch zu sein.
    »Und hier kommt dir
alles ein bisschen trostlos und grau vor.«
    Pietro zuckt mit den
Achseln und wirft einen Blick auf die Straße, auf diese menschenleere Allee,
auf einen gerupften Baum mit einem dünnen Stamm, der angelrutenartig gebogen
ist.
    »Nein, der Platz mit
dem Schachspiel hat mir gefallen.«
    »Der Platz mit dem
Schachspiel ist ein Treffpunkt von alten Nostalgikern, von Flüchtlingen, wärst
du mal besser auf der Piazza Navona geblieben, in der Bar vor dem
Bernini-Brunnen … Du hast Glück, du bist Italiener.«
    Ich lege ihm eine
Hand aufs Bein, eine Hand, die ihn trösten möchte, doch es ist eine
erschrockene Hand. Ich greife ihm ins Fleisch. Habe Angst, Gojko könnte Pietro
etwas verraten. Vielleicht war es falsch, ihm zu vertrauen, er hat zu viel
durchgemacht, plötzlich scheint mir seine Ruhe ein lauernder Groll zu sein.
    »Frag deine Mutter,
wie diese Stadt vor dem Krieg war.«
    »Sie war
wunderschön«, sage ich hastig.
    Ich wende mich Gojko
zu, er ist penetrant, nicht wiederzuerkennen.
    »Hier hat sie deinen
Vater kennengelernt, das weißt du doch, oder?« Pietro nickt, diesmal mit
gesenktem Kopf.
    »Er war wirklich ein
netter Kerl … Deine Mutter dagegen war ein bisschen überheblich, allerdings so
schön, dass sie sich das erlauben konnte.«
    Pietro kratzt mit
seinen langen Fingernägeln, die er zum Gitarrespielen braucht, an seinen Jeans.
Auch er ist unruhig.
    »Hör auf damit!«,
sage ich. »Das nervt.«
    Er protestiert nicht.
Er hört auf, sich zu kratzen.
    Zwei Jungen in
ärmlichen Synthetik-Sweatshirts mit der Aufschrift OLIMPIK SARAJEVO auf dem Rücken spielen auf dem freien
Platz vor dem runden Metallkörper Fußball. Gojko schießt den Ball zurück, der
bei ihm gelandet ist. Er steht auf und spielt jetzt mit, er ist noch wendig und
behält den Ball wie angeklebt am Fuß.
    »Ich will hier weg,
Ma, ich will nach Hause.«
    » Italijan !« Gojko zeigt schreiend auf Pietro.
»He, Del Piero!«
    Die Jungen laufen auf
Pietro zu, Gojko hat sie aufgefordert, ihn zu rufen. Sie sehen sich ähnlich,
haben die gleichen Augen, die gleichen roten Flecken auf den Wangen. Vermutlich
sind sie Brüder.
    Pietro lächelt und
schüttelt den Kopf, Fußball hat ihm noch nie Spaß gemacht, es ist nicht seine
Sportart. Er knurrt, dass er nicht die richtigen Schuhe anhabe, doch dann lässt
er sich nicht mehr bitten.
    Ich sehe ihn bei
Gojko, während sie sich den Ball streitig machen. Pietro ist sanfter, Gojko
meint es todernst, er hat den leicht übertriebenen Eifer der Alten, wenn sie mit
der Jugend in Wettstreit treten.
    Einer der Jungen aus
Sarajevo stößt Pietro zu

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