Das schönste Wort der Welt
den
Fernseher in Gang zu bringen. Am besten empfangen wir einen deutschen Sender,
es läuft ein Quiz, das es auch in Italien gibt, eine dieser Spielshows, die
überallhin verkauft werden. Exportquatsch, für die ganze Welt geeignet, Drucktasten
und Berge von Geld.
Wir sitzen träge auf
dem Bett und starren auf das helle Viereck, in dem sich lachende Leute zwischen
Geldstücken bewegen, die wie aus einem Tresor gefallen über den Bildschirm flimmern,
unechte Münzen, groß und glänzend wie Piratenbeute.
So was sehe ich mir
sonst nie an. Doch jetzt lasse ich es dahinplätschern, ohne mich zu wehren, ich
spüre, dass es mir gut tut, mich entspannt. Es zieht mich vom Sumpf weg und
gibt mir ein bisschen Dummheit zurück.
Irgendwann habe ich
Diego gefragt, wie es war, als er in jungen Jahren Heroin nahm.
Ein
Arschgesicht wurde erträglicher, das Marassi-Stadion verwandelte sich ins
Maracanã, und mein Vespino ging ab wie eine Harley-Davidson … Ich konnte die
Welt einfach besser aushalten, das war alles .
Ich starre auf den
Bildschirm, auf die Bilder, die in mich eindringen und sich nicht festsetzen,
nach einer Weile denke ich gar nichts mehr. Ich werde vollkommen leer, mir
bleibt nur ein schwachsinniger Mund, der an mein Gesicht geklebt vor sich hin
döst.
Pietro rutscht mit
dem Rücken an der Wand herunter bis zu seinem Kopfkissen.
Ich mache den
Fernseher aus und gleite in die Dunkelheit des Zimmers. Pietros Fuß berührt meinen
und rückt nicht sofort ab. Er bleibt dort liegen. Was hat dieses Kind heute
Abend? Er kommt mir gutmütiger vor, weniger gereizt.
»Woran denkst du?«
»An nichts, Ma.«
Doch er hat die wache
Stimme eines Menschen, der noch ganz in der Welt ist.
Er zieht den Fuß
nicht weg, lässt ihn, wo er ist, dicht an meinem. Im Dunkeln betrachte ich sein
Haar, ich strecke die Hand aus und streiche ihm über den Kopf. Zu Hause hätte
er mich mit einer groben Bewegung und einem Grunzen verscheucht. Doch heute
Nacht in Sarajevo nimmt er mein Streicheln an, er bleibt, wo er ist. Ja, er
kommt sogar unmerklich näher, schmiegt sich zusammengerollt wie ein Embryo an
meine Brust, an meinen Bauch. Ich schließe ihn in die Arme. Halte meinen Sohn
so wie schon lange nicht mehr. Vielleicht ist er angeschlagen. Von diesem
merkwürdigen Tag, von dieser Stadt, in der er geboren ist, zufällig, wie er
glaubt, weil sein Vater Fotograf war und durch die Welt reiste. Jetzt geht sein
Atem kräftiger, vielleicht ist er eingeschlafen.
Wenige Tage vor ihrem
Tod erzählte mir meine Mutter, sie habe geträumt, ich sei noch in ihrem Bauch,
der Traum war so gegenwärtig, dass sie am Morgen noch ganz verwirrt war. Sie lag
im Angesicht des Todes in diesem Bett und fuhr sich ungläubig über den Bauch,
weil er leer war. Sie war sich sicher, dass ich in sie zurückgekehrt war.
»So ein Blödsinn«,
sagte ich und tat ihr weh damit.
Und später passierte
das auch mir. Pietro war noch klein, er hatte eine Otitis, der Eiter rann ihm
aus dem Ohr, das Fieber stieg.
In jener Nacht
behielt ich ihn bei mir, winzig klein und glühend. Ich nickte für ein paar
Minuten ein. Und da träumte ich, dass ich die Beine spreizte und ihm das Leben
schenkte. Es gab weder Schmerz noch Blut. Ich erwachte mit einem Schrei, einem
langen Wimmern.
Giuliano machte
erschreckt Licht, mit blinzelnden Augen.
»Was ist los?«
Pietro schlief, das
Fieber ging zurück.
»Nur ein Traum«,
beruhigte ich ihn.
»Schlimm?«
»Das erzähle ich dir
morgen.«
Heute Nacht schläft
mein Sohn wieder bei mir, angeschmiegt wie ein großer Embryo. Heute Nacht, in
diesem Hotel, habe ich im bleichen Licht, das von der Straße heraufscheint,
Angst, dass Sarajevo ein feines Stimmchen haben könnte, das singt und erzählt.
Ich lausche auf Pietros Atem.
»Vielleicht sage ich
es ihm irgendwann«, hatte ich Giuliano damals zugeflüstert.
»Ich werde ihm sagen,
dass ich nicht seine Mutter bin.«
In Dubrovnik schwamm die Sonne
In Dubrovnik schwamm
die Sonne in jedem Himmelsstück, als wäre sie geschmolzen und tropfte nun
herunter … auf die roten Dächer der Altstadt, auf den hellen Rücken der
Stadtmauer. Wir waren fasziniert vom Anblick dieses Anlegeplatzes. Nach so
langer Zeit endlich richtige Ferien.
Wir stiegen in den
Laderaum der Fähre hinunter und holten das Auto, das Schiffsheck klappte auf,
und ein mörderischer Benzingestank schlug uns aus dem schwarzen Qualm entgegen.
Da stand Gojko. Weiße Hosen, eine dunkle Brille und schon sonnenverbrannt. Er
hatte
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