Das schönste Wort der Welt
Boden und schnappt ihm den Ball weg. Pietro rafft sich
auf, klopft sich den Dreck von den Jeans, bleibt zurück und hüpft allein auf
der Stelle. Er hat sich die Kapuze seines Sweatshirts übergezogen. Das tut er
immer, wenn er sich schützen will.
Wieder setzt ihm
einer zu, umkreist ihn, schwänzelt um ihn herum. Diesmal kann Pietro ihm den
Ball abnehmen, er knallt ihn gegen die Mauer und schreit Tor. Die Jungen
pfeifen mit den Fingern im Mund und behaupten, der Ball sei im Aus gewesen.
Gojko breitet die Arme aus, irgendetwas verbindet ihn mit den beiden Jungen,
eine Art Grausamkeit. Sie spielen ohne Gnade, spielen, um wehzutun. Pietro
humpelt, sein Gesicht unter der Kapuze ist angespannt, seine Augen sind gesenkt
und spähen nach dem Ball wie nach einem Feind. Ja, wie nach einem Feind. Sie
sind zu viert, jeder spielt für sich, und trotzdem scheinen alle nur gegen ihn
zu sein. Ich merke, dass Pietro allein auf einem Feld voller Gegner ist. Er ist
schlank und in seinen Bewegungen elegant, er trägt Jeans und Schuhe, die teuer
waren, er sieht gut aus, ist voller Licht. Er hat ein freundliches Wesen und
ist auch so erzogen worden. Giuliano hat ihn zum Judo mitgenommen, zu einem
Lehrer der alten Schule, der feinen englischen Art, auch zum Wasserball und zum
Tennis. Er ist es gewohnt, fair zu kämpfen, ist keiner, der schlappmacht, doch
unfähig, jemandem wehzutun. Ich betrachte ihn mit den Augen eines Menschen, der
ihn zum ersten Mal sieht, mit den Augen dieser Jungen, die mir jetzt hässlich
und trübe vorkommen mit ihren Synthetikanzügen, ihren fleckigen Wangen und
ihren harten, neiderfüllten Blicken und die ihn vielleicht hassen. Sie sind
alle Kinder des Krieges, sie haben das entsprechende Alter, krebskranke Mütter und
arbeitslose, saufende Väter. Sie haben einen bulligen Körper, eine ruppige
Spielweise, und sie treten meinem Sohn gegen die dünnen Schienbeine.
Es ist kein Mitleid
möglich, mit niemandem. Diese Jungen gefallen mir nicht, ihre schweißüberströmten
Gesichter gefallen mir nicht, sie scheinen aus einem schlechten, minderwertigen
Material zu sein, aus lichtlosem Fleisch, aus Schutt und Asche.
Mein Sohn ist
wohlbehütet. Er steckt nicht in diesem Gefangenenlager. Hände weg von ihm, ihr Wildschweine,
ihr kaputten Typen.
Von diesem Berg aus
haben die Scharfschützen geschossen, sie trieben ihr Spiel mit ihren Opfern,
trafen eine Hand, einen Fuß … Manche zielten auf die Hoden, auf einen Busen,
sie hatten ja alle Zeit der Welt, um zu töten, also amüsierten sie sich erst
noch ein bisschen.
Für
mich war das wie Karnickelschießen , sagte einer von ihnen im Interview. Er fühlte sich nicht schuldig,
ja er verstand nicht einmal, warum so viel Rummel um ihn gemacht wurde, er war kein
Verrückter oder Sadist oder sonst was. Er hatte ganz einfach den Sinn fürs
Leben verloren.
Das
Mitleid stirbt mit dem Ersten, den du umlegst .
Auch er war
gestorben, darum grinste er.
Auf dem Rückweg rufe
ich Giuliano an. Ich laufe am Handy klebend durch die Gegend, einen Finger im
anderen Ohr, es herrscht viel Verkehr, Gestank und Krach.
»Mein Schatz.«
»Mein Schatz.«
Ich bitte ihn, von
Italien aus einen früheren Flug für uns zu buchen, er verspricht, es zu
versuchen.
»Aber solltet ihr
nicht doch noch ans Meer fahren?«
»Das Wetter ist
schlecht, das Essen auch, und Pietro meckert herum.«
Das sind kleine
Ausreden, so armselig wie mein Herz, wie meine Ängste. Und Giuliano spürt das.
Er lässt mich eine Weile in Ruhe.
»Giuliano?«
»Ja, ich bin noch
da.«
Warte
erst noch ein bisschen , denkt er, ich fühle es. Ich sehe sein Gesicht vor mir, seine
kleiner werdenden Augen, ich kenne die Miene, die er hat, wenn er an mich
denkt.
»Wo bist du gerade?«
»Unterwegs.«
»Was siehst du da …
vor dir?«
Ich verstehe seine
Frage nicht.
»Hier ist eine hässliche
Straße mit viel Verkehr, ein Handy-Shop, ein Bäcker und eine Tafel mit lauter
Namen von Toten.«
»Lauf nicht weg.«
Vor dem Hotel
verabschiede ich mich von Gojko, ohne ihm in die Augen zu sehen. Er merkt, dass
ich weit weg bin, zurückgezogen in meine Jacke und hinter meine Brille.
»Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
»Und morgen?«
»Morgen ruhen wir uns
mal aus.«
Ich drehe mich um und
spüre seine verfluchten Blicke im Rücken, die mich fest im Griff haben.
Pietro schraubt die
Wasserflasche auf, setzt sie an und nimmt einen ordentlichen Schluck. Er ächzt.
Dann rülpst er leise und bittet um Entschuldigung.
Wir versuchen,
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