Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
Vom Netzwerk:
zu
tragen wie ein übergeschnappter Totengräber, und Tudjman wolle die Speisekarten
der Restaurants und die Straßenschilder austauschen. Ein ernsthaftes Gespräch
war nicht möglich, Gojko zuckte mit den Achseln und zeichnete
eine Karikatur: Tudjman, der einem Freund seine Frau vorstellt, dazu eine
Sprechblase: SIE IST KEINE SERBIN,
SIE IST KEINE JÜDIN, SIE IST KEINE TÜRKIN, DOCH LEIDER IST SIE EINE FRAU . Er kaufte sich auch keine Zeitungen
mehr: »Redet doch sowieso jeder nur mit sich selbst … Er braucht bloß einen Furz
zu lassen, um sich vom eigenen Arsch umjubelt zu fühlen!« Sein Humor schützte
uns, bei ihm fühlten wir uns in Sicherheit.
    Er war vollkommen
überdreht, manchmal ging mir seine Unruhe auf die Nerven. Gojko ähnelte jenem
Meer und jenem Sommer, er kam mit der Flut auf Touren, schlug gegen die Klippen
und verwirbelte sich. Dann wieder, an manchen Abenden, wenn die Ebbe das Wasser
zurücksog und der Strand sich entblößte, ähnelte er den kleinen Krabben, die
auf dem Trockenen liegen geblieben waren und sich auf den Felsen ängstigten wie
Kinder ohne Zudecke.
    Eines Nachts sagte
ich gedankenlos und von seinem ewigen Gelächter gereizt, das zu laut und zu
grob in den menschenleeren Gassen dröhnte, durch die wir zum Hotel
zurückgingen, Du bist
wirklich bescheuert .
    Später, mit dem
letzten Glas Travarica in der Hand, stieg er mit seinen Dior-Mokassins in den
griesgrämigen Springbrunnen im Zentrum der leeren Hotelhalle, der wie ein
türkisches Bad mit kleinen Fliesen besetzt war, und fing an zu schreien.
    »Stimmt, ich bin
bescheuert! Dichter sind so bescheuert wie Fliegen an einer Fensterscheibe! Sie
prallen gegen das Unsichtbare, um ein Stückchen Himmel zu erwischen!«
    In das Zimmer neben
unserem war ein deutsches Ehepaar mit zwei dieser blonden Gören eingezogen, die
wie aus dem Paradies geraubte Engel aussehen. Wir trafen sie im Flur, in Badelatschen
auf dem Rückweg vom Strand. Die Mutter ging vor mir, mit geschwollenen,
sonnengebräunten, fleckigen Beinen, die von dunklen Venenfasern durchzogen
waren. Eine junge, bereits verwelkte Frau ohne jede Sinnlichkeit. Der Vater
trug Klettersandalen und hatte einen Bierbauch. Sie lächelten uns zu, und ich
lächelte ihnen zu, auch den beiden entzückenden Kindern.
    »Wenn sie groß sind,
werden sie genauso hässlich sein wie ihre Eltern«, sagte ich lachend, als wir
in unser Zimmer kamen.
    Diego hatte mich
erstaunt über diese bissige Bemerkung angesehen. Sie waren eine rücksichtsvolle
Familie, störten nicht und sprachen leise. Doch jetzt hingen da diese kleinen
Schwimmsachen über der Brüstung unseres Nachbarbalkons. Der Wind hatte einen
Badeanzug heruntergeweht, den hellblau geblümten des kleinen Mädchens. Ich
hatte dagestanden und ihn angeschaut, wie er nun in der Stille dieses Hofes am
Meer lag, auf den ein Hotelangestellter gerade einen Müllsack schleppte.
    Zwischen den beiden
Zimmern ist eine Verbindungstür, weiß gestrichen wie die Wand. Von dort kommen
die Geräusche. Es ist mitten in der Nacht, die Kinder schlafen. Ihre Mutter hat
ihnen die Füße gewaschen und sie ins Bett gebracht. Wir kommen immer spät
zurück, wenn nebenan schon Ruhe herrscht. Doch heute Nacht haben die Deutschen
Lust auf Sex und wollen ihre zwar plumpen, doch sich suchenden Körper
vereinigen. Ich höre die Geräusche … das unverkennbare Geräusch sexueller
Annäherung. Mir steigt vom Magen ein Sodbrennen auf und zerfrisst mir die
Kehle. Die Fischsuppe war zu scharf. Mir ist übel von diesem Essen, von dem zu
starken Wein, von diesen zwei hässlichen, unbeholfenen Körpern, die sich im
Nachbarzimmer aneinander reiben. Mich packt der Ekel vor allem Sex der Welt,
vor diesem Ficken und Ficken bis in den Tod, vor diesem Löchersuchen. Ich
stelle mir den Mann vor, seinen nackten Schmerbauch, ihn und seine Fettwülste
am Bauch … und dazu die Frau, ihr Geschlecht groß und so verwelkt wie ihre
Beine, wie der Rest ihres Körpers. Ich lausche auf das Geräusch des Bettes, auf
das Geräusch quietschender Sprungfedern. Sie haben Urlaub, haben Deutsche Mark,
für sie ist es günstig, an dieser Küste Ferien zu machen. Es soll Krieg geben?
Tja, vielleicht, vielleicht auch nicht … Es ist Juni. Es ist der Monat der
Mütter und Kinder. Heute Nacht wird gevögelt. Man leiert das ohnehin schon
ausgeleierte Bett aus. Die Deutschen haben gegessen, sind Hand in Hand über das
glatte Steinpflaster der Gassen geschlendert und haben den Kindern eine
Papierwindmühle

Weitere Kostenlose Bücher