Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
inspiriert.«
Jane wusste nur, dass der reale Grundriss von Slains mit meinem fiktionalen Entwurf übereinstimmte, von all den anderen Überschneidungen hatte ich ihr nichts erzählt. Ich kannte sie lange genug, um zu ahnen, dass in ihrem strukturierten Leben kein Platz für unerklärliche Phänomene war.
»Wenn du dich hier inspiriert fühlst«, sagte Jane, »solltest du nach Schottland ziehen und dir ein Häuschen kaufen. Ein paar Straßen weiter wird grad eins angeboten.«
Janes Mann Alan, der das Geschirr abräumte, fühlte sich bemüßigt, sich einzumischen: »So nah bei dir würde sie sicher nicht wohnen wollen.«
»Warum nicht?«
»Weil du ihr dann die ganze Zeit auf die Nerven gehen würdest mit Fragen, zum Beispiel: ›Wie läuft’s mit dem Buch?‹ oder: ›Wann ist es denn fertig?‹«
»Was für einen Unsinn du da wieder redest«, erwiderte Jane gespielt entrüstet.
»Außerdem braucht Carrie ihre Privatsphäre.«
»Die würde sie haben.«
»Oh, aye?« Alan sah seine Frau von der Seite an. »Glaubst du das selber nach dem Theater von heute Morgen?«
»Ich hab ihr bloß vorgeschlagen, sich von uns abholen zu lassen und nicht mit dem Taxi zu kommen.«
»Ist ja auch ziemlich weit«, sagte ich. »Zehn Minuten.«
»Darum geht’s nicht.«
»Es geht darum«, erklärte Alan, »dass du dachtest, sie würde einen Mann mitbringen.« Und an mich gewandt, fügte er hinzu: »Deswegen hat sie auch den Kuchen gebacken. Für uns allein würde sie sich nicht die Mühe machen.«
Richtig böse konnte Jane Alan nie sein. »So bald wirst du keinen mehr kriegen, wenn das der Dank ist.« Sie strafte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Außerdem hat Carrie bei unserem letzten Telefongespräch selber gesagt, dass sie möglicherweise einen Mann mitbringt.«
»Ach, tatsächlich?«
»Sie wollte es mich wissen lassen.« Jane zuckte mit den Achseln. »Das ist praktisch dasselbe.«
Als Alan die Augen verdrehte, musste ich lachen. Jane bekam das nicht mit, weil in dem Moment der kleine Jack im ersten Stock aufwachte. Sobald er unten war, verlagerte sich die Aufmerksamkeit aller auf ihn.
»Babys sind faszinierend«, stellte Jane fest. »So klein, aber wenn sie in dein Leben treten, krempeln sie es komplett um.«
Was uns wieder zu meinem Buch, Sophia und der Frage zurückführte, wie sich ihr Dasein verändern würde, wenn das Kind da wäre.
»Ich weiß nicht, ob ich die Geburt beschreiben soll«, sagte ich. »Damit habe ich keine Erfahrung.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Frau, die ein Kind geboren hat, so etwas lesen möchte.« Jane drückte den kleinen Jack an sich. »Was am Ende dabei herauskommt, ist in Ordnung, aber an den Weg dahin muss ich nicht unbedingt erinnert werden.«
Trotzdem überredete ich sie, mir davon zu erzählen, für den Fall der Fälle. Plötzlich war es fast zwei Uhr, und ich musste gehen.
Wieder rief ich, obwohl Jane mich davon abhalten wollte, ein Taxi.
»Ich kann dich bringen«, sagte sie, als ich das Manuskript in meine Reisetasche steckte, in der sich mein Laptop und ein wenig Kleidung befanden. Jane war das sicher nicht entgangen, weshalb ich mir eine gute Erklärung ausgedacht hatte.
»Ich fahre nicht gleich nach Hause, sondern nach Aberdeen, um für das Buch zu recherchieren. Es kommt drauf an, wie lang ich dazu brauche. Möglicherweise bleibe ich über Nacht.«
Als wir im Flur auf das Taxi warteten, sagte sie plötzlich: »Augenblick, ja?« Dann ging sie in die Küche und kehrte mit einem kleinen Tupperwaren-Behälter zurück.
»Was ist das?«
»Nicht für dich, sondern für ihn.«
»Für wen?«
»Komm, sonst fährt das Taxi wieder weg«, ermahnte sie mich und lief die Stufen zu dem wartenden Wagen hinunter. Als ich auf dem Rücksitz Platz genommen hatte, fragte sie mit Unschuldsmiene: »Sagtest du nicht, er sei aus Aberdeen?«
»Wer?«
»Der Mann, der dich zu dem Spaziergang entlang der Klippen entführt hat. Der arbeitet doch als Geschichtsdozent in Aberdeen, oder? Gib ihm den Kuchen von mir.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, schloss sie die Wagentür und winkte mir nach. Als Detektivin wäre sie der Hit gewesen. Gegen Jane hätte kein Verbrecher eine Chance gehabt.
Das Reiheneckhaus aus der viktorianischen Zeit bestand, wie die meisten Gebäude in Aberdeen, aus Granit, nicht aus der roten Sorte wie Slains, sondern aus bräunlich grauem, was Grahams Straße etwas Heimeliges und Beständiges verlieh. Eine Stechpalmenhecke säumte den kurzen Weg zu den
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