Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
ihrer eigenen Schwester, lag nun drei Wochen zurück. Sobald die Zeit reif wäre, würde sie auf den Namen Anna Mary Moray getauft, doch im Moment schien die Kleine mit den winzigen Händen und Füßen, dem weichen braunen Haar und den Augen, die bereits die grüngraue Farbe des winterlichen Meers annahmen, noch mit einem einfachen »Anna« zufrieden zu sein.
Jedes Mal, wenn Sophia in diese Augen sah, musste sie an Colonel Graeme denken, wie er ihr am Erkerfenster des Salons sagte, auch sie werde eines Tages das Versprechen der winterlichen See erkennen. In den Augen ihrer kleinen Tochter erblickte sie die Hoffnung auf neues Leben und den Frühling.
Hierher in den Süden, wohin die Countess Sophia geschickt hatte, damit sie das Kind sicher zur Welt bringen konnte, würde der Frühling früher kommen als nach Slains. Die Malcolms, bei denen Sophia jetzt wohnte, waren den Errolls treu ergeben und lebten bescheiden in der Nähe des Firth of Edinburgh.
Die Herfahrt mit Kirsty ein paar Tage nach Weihnachten war ziemlich beschwerlich gewesen. Mehrmals hatten sich die Räder der Kutsche in die tiefen Furchen eingegraben, so dass es Stunden dauerte, bis sie weiterholpern konnten, und an einer Stelle wären sie sogar beinahe umgekippt. Sophia, besorgt um die Sicherheit ihres Kindes, war froh gewesen, endlich das Haus der Malcolms zu erreichen.
Die beiden stellten keine Fragen und erklärten ihren Nachbarn, die junge Frau sei eine Cousine aus dem Norden, deren Ehemann, der sich dringender Geschäfte wegen auf einer längeren Reise befinde, vorgeschlagen habe, sie solle das Kind bei ihnen zur Welt bringen, damit es im Schoß einer Familie das Licht der Welt erblicke.
Die Kleine streckte sich gähnend. Dabei berührten ihre winzigen Finger den Silberring um Sophias Hals und schlossen sich darum. Sie schlief gern so, die eine Hand um den Ring, die andere in Sophias Haaren vergraben, als wollte sie beide Eltern festhalten.
Sophia strich ihrer Tochter sanft übers Haar. Als sie ein Klopfen und Stimmen hörte, hob sie Anna sanft in ihre Wiege, zog sich hastig an und weckte Kirsty. »Rory ist da«, sagte sie.
Rorys Gesicht war anzusehen, dass er gute Nachrichten brachte. Mr. Malcolm hatte bereits den Hut in der Hand, um sich auf den Weg zu machen und die Anweisungen auszuführen, die Rory von Countess und Earl überbracht hatte. Und Mrs. Malcolm klatschte freudig erregt in die Hände und rief aus: »Dass ich diesen Tag noch erleben darf!«
Sophia sah Rory an. »Ist es so weit?«
»Aye. Mr. Fleming hat gerade die Botschaft nach Slains gebracht, dass der König von Dünkirchen lossegeln und bald Schottland erreichen wird.«
»Möglicherweise ist er schon auf See«, sagte Mr. Malcolm und setzte den Hut auf. »Ich soll ihm Leute suchen, die ihn den Firth hinauflotsen können.«
Vor Freude darüber, dass die Schiffe ganz in der Nähe vorbeisegeln würden, setzte Sophias Herz einen Schlag aus.
Es war logisch, davon auszugehen, dass sich der junge King James sofort nach Edinburgh aufmachen würde, um dort seinen Anspruch auf den Thron durchzusetzen, weil die wenigen schlecht ausgerüsteten Soldaten, die sich in der Stadt aufhielten, vermutlich schnell zum König überlaufen würden. Außerdem lockte in Edinburgh Castle das »Equivalent«, eine Ausgleichszahlung, die die Engländer im vergangenen Sommer im Rahmen der Abmachungen über die Union geleistet hatten. Ironie des Schicksals, wenn es James gelingen sollte, die Engländer mithilfe ihres eigenen Geldes aus Schottland zu vertreiben.
Nachschub würde aus Angus kommen, wo eine Flotte holländischer Schiffe voller Kanonen, Schießpulver, Handfeuerwaffen und Geld auf Grund gelaufen war. Die englische Armee, deren größter Teil auf dem Kontinent kämpfte, wäre zu schwach und überrascht zur Gegenwehr. Wenn sie nach Norden marschierte, säße James VIII. bereits auf dem Thron in Edinburgh, und Schottland wäre wieder unabhängig.
Bevor sich Mr. Malcolm von ihnen verabschiedete, sagte er zu Rory: »Wenn du noch weitere Briefe für Leute aus der Gegend haben solltest – meine Frau kennt sich aus; sie kann dich führen.«
Rory bedankte sich. »Ich habe nur noch ein Schreiben für Mrs. Milton.« Er nickte Sophia zu, die unter diesem Namen bei den Malcolms lebte, um ihren Ruf zu schützen.
Nachdem sich Mr. Malcolm auf den Weg gemacht hatte, fragte Sophia Rory: »Darf ich den Brief sehen?«
»Aye. Er ist von der Countess.«
Plötzlich fielen ihr die traurigen Gesichter
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